Auch als Buch: Die besten Stadtgeschichten aus dem Stadtgeschichten - Archiv - zum Wiederlesen & Weiterschenken. "Wiener Stadtgeschichten" mit Illustrationen von Andrea Satrapa-Binder, Echomedia Verlag Ges.m.b.H., ISBN 3-901761-29-2, 14,90 Euro.

Von Montag bis Freitag täglich eine Stadtgeschichte von Thomas Rottenberg

Es war gestern. Aber die Mutter von D. und K. sagt, dass die beiden das schon länger tun. Und jedes Mal, wenn die beiden Buben eines der Plakate nur von weitem sähen, sagt die Mutter, brächen sowohl der Drei- als auch der Fünfjährige in begeistertes Gebrüll aus. Das sei, sagt die Mutter von D. und K., mittlerweile schlimmer, als jenes Geschrei, das ihr ältester - längst ins semivernünftige Spätvolksschulalter vorgerückter - Sohn früher gerne angestimmt habe, wenn das gelbe Burger-M auftauchte. Unabhängig davon, ob er hungrig war oder nicht.

Ich hatte zunächst geglaubt, die beiden Knaben hätten sich im geirrt, als sie wie von der wilden Sau gebissen hintereinander her rasten und immer dann, wenn der eine den anderen erwischt hatte, brüllten "du bist dran". Das, versuchte ich mich als Spielpädagoge, sei aber nicht Verstecken, sondern wohl eher Fangerln. (Und um die jungen Leute nicht zu frustrieren verkleidete ich die Belehrung durch ein didaktisch gekonnt platziertes "oder?" am Satzende in eine interessierte Frage)

Mitleid

Ich hätte genauso gut behaupten können, Schokolade schmecke salzig: So mitleidig-verächtlich wie in dem Augenblick, als die beiden (die mich, so sagte ihre Mutter später höhnisch grinsend, bisher für den Inbegriff erwachsener Coolness gehalten hätten und ihre Eltern damit gehörig auf den Zeiger gegangen waren) jede Achtung und allen Respekt vor mir verloren, bin ich in nicht mehr angeschaut worden, seit ich mit einer Gruppe von Elvis-Fans über den Tod des Kings diskutieren wollte.

Ob ich denn wirklich von gar nichts eine Ahnung habe, wollte D., der Ältere, dann wissen: Sie wüssten natürlich, was der Unterschied zwischen Fangerln und Verstecken sei - aber so was würden heute nur mehr Babys spielen. Das Kind von Welt, ergänzte K - der Jüngere - verlustiere und ergötze sich anderweitig: Das Spiel hieße "Speck" - und es gehe darum, "Specks" zu jagen. Zu verjagen. Zu "verspecken" also. Darum laute der Kampfruf zu Beginn jeder Herumraserunde auch: "Weg mit dem Speck". Die Hitze des Gefechts habe daraus aber "Speck Speck" gemacht.

Branding

Ich nickte wissend. Ob ihnen die Kindergartentante das beigebracht habe, versuchte ich verlorene Meter wieder zurück zu gewinnen. Nein, schnaubte K., die nicht. Die habe sogar gesagt, das sei ein blödes Spiel - obwohl doch die anderen Kinder auch so gerne Speck jagen würden. Die Mutter der Buben zuckte mit den Schultern - und wir sahen beide vorwurfsvoll zu A. hinüber.

A. tat so, als habe nichts gehört. Sie habe, erklärte sie später, ja persönlich wirklich volles Verständnis dafür, dass Mütter, Kindergartentanten und andere Vertreter der hellen Seite der Macht es grausam finden, wenn Kinder Werbespots nachspielen. Aber ihr Kunde, sagte A., werde begeistert sein: Einen noch schöneren Alltagsbeweis dafür, wie nachhaltig seine - von A.s Kollegen ersonnene - Werbung wirklich wirke , könne sie dem nämlich nur schwer auf den Tisch legen.