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Juri Andruchowytsch:
Zwölf Ringe
Aus dem Ukrainischen von Sabine Stöhr
€ 22,90/308 Seiten. Suhrkamp, Frankfurt/M. 2005.

Foto: Archiv
Juri Andruchowytsch konnte zum Zeitpunkt der Abfassung seines Romans Zwölf Ringe (2001 bis 2003) die einigermaßen paradoxen Umwälzungen in der Ukraine nicht im Blick gehabt haben: das orangefarbene Fahnenmeer, die von Zuversicht getragene Selbstermächtigung eines Volkes, das man, seiner Unduldsamkeit gegen die Industrieoligarchie im Osten des Landes wegen, gerne vorsorglich im Kreise der Unionsfamilie willkommen geheißen hätte - avant la lettre, denn natürlich kann von einem überstürzten EU-Beitritt der Ukraine nicht die Rede sein. Die vertrackte Literatur Andruchowytschs (45), eines spielerischen Postmodernisten, hält sich gegenüber solchen möglichen Parallellesarten eifersüchtig versperrt. Sie atmet in der atemlosen Verschlingung heterogenen Bildmaterials die Fantastik Michail Bulgakows. Sie flirtet mit der Einsicht in die regionale Verfasstheit jener osteuropäischen Staatengebilde, die im real existierenden Sozialismus per Dekret dem Internationalismus zu huldigen hatten.

Die Kulturkosten waren freilich horrend: Mussten doch die einzelnen Völker - in der Ukraine: Huzulen, Lemken, Bojken - die kurze Geschichte ihrer ethnisch jeweils unterschiedlichen Verwurzelung in der Moderne auf dem Altar der Warschauer Pakttreue opfern. Das kommt noch heute, in der postindustriellen Ödnis der mittel-osteuropäischen Müllhalden, auf denen das kulturelle Gedächtnis vom Konsumgüterschrott gerade ein zweites Mal geflutet wird, einem schmerzlichen Dementi gleich.

Das Beste, was man nun Andruchowytschs doch arg ausgedachtem Patchwork-Text nachsagen kann, ist sein Blick auf die unterschiedlichen Zeitfenster. Sein Ausgangspunkt für eine im Grunde nebensächliche Handlung ist Lemberg. Eine Gruppe von "Kulturarbeitern" folgt der wundersamen Einladung eines ukrainischen Tycoons (des Teufels!) auf eine zum Luxushotel und zum Freilichtmuseum umgebauten Sternwarte.

Man nächtigt also zwischen den schneebedeckten Gipfeln der Ostkarpaten, begegnet transsilvanischen Zigeunern und verstrickt sich in Liebesgeschichten, deren bedeutsamste wiederum von einem Wiener Fotografen namens Karl-Joseph Zumbrunnen handelt, der den alkoholisch verwahrlosten Szenedichter Artur Pepa mit dessen Frau Roma, einer Dolmetscherin mit attraktiver Stieftochter, betrügt.
Zumbrunnen stirbt, unter Räuber gefallen wie nur je eine Figur von Lord Byron, einen elenden Tod im Schneetreiben. Er figuriert als "Donaufisch" (Andruchowytsch offenbart übrigens leidliche Kenntnisse von Wien) und erlebt, als Ermordeter, eine grandiose Schlusslevitation als frei schwebendes Geistwesen, das über die Landschaften Mitteleuropas hinweg in ein unbekanntes Jenseits vertragen wird. Denn, wie Andruchowytsch mit Blick auf seine dichterische Spekulationsmasse schreibt: "Stellen wir uns mal vor, dass sich alles genauso abgespielt hat. Denn was bliebe uns sonst?"

Dem Autor wird man nicht vorhalten können, dass er sich galizische Nostalgien gestattete - dass er sich unbedenklich in den Abraumhalden der Überlieferung von Bruno Schulz bediente. Man wird Zwölf Ringe für gewisse Passagen in der Erinnerung behalten: Für das (wunderbar übersetzte) Kauderwelsch Schnaps trinkender Afghanistanveteranen, die dem armen Zumbrunnen - Wiens auf die Quellen verweisender Beitrag zur ukrainischen Gegenwartsliteratur - so überaus fatal mitspielen. (ALBUM/ DER STANDARD, Printausgabe, 30.04./01.05.2005)