Chinas Umarmungstaktik scheint aufzugehen. Peking hat in seiner Werbung um den taiwanischen Oppositionsführer Lien Chan, den Chef der Nationalpartei Kuomintang, alle Register der Gefühlsduselei gezogen. In Nanking wurde dem 68-Jährigen, der 60 Jahre nicht mehr in seiner Heimat China war, die einstige Glorie seiner Partei vom Mausoleum für Republiksgründer Sun Yatsen bis zu den Büros Tschiang Kaischeks vorgeführt. In Peking wurde er an der Universität gefeiert, an der seine Mutter studierte.

Er bekam ihre Studienbücher geschenkt, er wohnte in historischen Hotelzimmern, aß Leckerbissen, die er als Kind liebte. Lien wird auch das Grab seiner Großeltern in Xian zu sehen bekommen. Da kamen dem Politprofi aus Taiwan heimlich Tränen der Rührung. Die Aussöhnung der Erzfeinde ist in China ein hoch emotionales Thema. Der Wert des Treffens zwischen KP und KMT liegt in seiner Symbolik.

Beide Parteien ziehen den überfälligen Schlussstrich unter ihre Geschichte. Das ist das Positive. Man muss es vorausschicken, wenn man die unappetitliche andere Seite der Medaille betrachtet. Denn hier sind heimlich auch zwei Ränkeschmiede am Werk. Parteichef Hu Jintao und Lien, dessen KMT in Taiwan nicht gegen den Demokraten Chen Shui-bian ankommt, wollen ihn nun gemeinsam zu Fall bringen.

Die Kommunistische Partei Chinas geht mit Oppositionsführer Lien Chan bilaterale Vereinbarungen zu Wirtschaft und Handel ein, die das Papier nicht wert sind, auf dem sie stehen. Weil sie nur mit der Regierungspartei und ihrem Präsidenten Chen Shui-bian geschlossen werden können. Mit dem redet China aber nicht. Pekings Kalkül liegt auf der Hand. Es hat Lien Chan einen ungedeckten Wechsel ausgestellt in der Hoffnung, dass ihn Taiwans Wähler einlösen und das nächste Mal die Kuomintang wählen. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 30.4./1.5.2005)