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EU-Optimist: Premierminister Sakskoburggotski.

Foto: Reuters
"Wie sah Europa 1945 aus, und wie sieht es im Jahr 2005 aus? Ist diese Idee eines großen und wirtschaftlich starken Europa nicht ein fantastisches Projekt, für das es sich lohnt, Opfer zu bringen, und für das jeder von seiner Souveränität etwas abtreten sollte?" So beantwortete Bulgariens Ministerpräsident Simeon Sakskoburggotski am Freitag in Sofia Fragen österreichischer Journalisten, wie er einer zunehmend erweiterungskritischen EU-Öffentlichkeit den für 2007 geplanten Beitritt seines Landes zur Union schmackhaft machen wolle.

Jedes Land trage etwas zu Europa bei, kulturell oder wirtschaftlich. "Wir sind nicht nur ein armes Land, das nach Europa kommt. Wir sind auch ein Markt für die anderen Europäer." Dieser Markt werde, wenn es erst einmal einen südosteuropäischen Block mit Griechenland, Bulgarien und Rumänien gebe, noch interessanter. Dazu komme die kulturelle Bereicherung. "Man kann Europa nicht unter dem Aspekt sehen: Welches Land hat größere Verdienste? Die Einheit Europas ist das Wichtige."

Die durch Schutzklauseln im Beitrittsvertrag vorgesehene Möglichkeit, dass Bulgarien bei Nichterfüllung einzelner Standards erst 2008 EU- Mitglied wird, nannte Sakskoburggotski "nicht sehr wahrscheinlich". Die größten Herausforderungen für die nächsten eineinhalb Jahre seien die Verbesserung des Justizsystems (wirksamere Bekämpfung von Kriminalität und Korruption) und die Anpassung der Wirtschaft, vor allem der Industrie, auf mehr Wettbewerb. Bei der Justizreform komme man "langsam, aber sicher" voran.

Eine Verschiebung des EU- Beitritts würde dem Regierungschef zufolge den EU- Skeptikern im Land Auftrieb geben. Derzeit seien laut Umfragen rund 80 Prozent der Bulgaren für die Mitgliedschaft. Ein Referendum über den Beitritt (das die Verfassung nicht vorschreibt) lehnt Sakskoburggotski ab: Die Meinung des Volkes sei durch das Parlament hinreichend vertreten.

In Bulgarien finden am 25. Juni Parlamentswahlen statt. Umfragen, die die oppositionellen Sozialisten (BSP) weit vor seiner Partei, der "Nationalen Bewegung Simeon II." (NDSW) sehen, wollte der Premier und Ex-Thronanwärter nicht kommentieren. Sakskoburggotski, der von vielen Bulgaren nur "der König" genannt wird, tritt selbst nicht als Kandidat fürs Parlament an. Er habe das schon 2001 so gehalten und glaube, mehr für das Land tun zu können, wenn er nicht für eine bestimmte Liste kandidiere. Als Anspruch, über den Parteien zu stehen, wolle er dies aber nicht verstanden wissen. Seine eigene Partei sieht der Premier als "liberale Bewegung" in der Mitte des politischen Spektrums.

Dem Hinweis auf eine offenbar wachsende Kluft zwischen Gewinnern und Verlierern des Transformationsprozesses und daraus resultierende soziale Spannungen begegnete Sakskoburggotski mit den Worten: "Ich kenne kein ideales Land, wo alle zufrieden sind. Und wenn man bedenkt, wo wir 1989 standen und wo wir jetzt stehen – das ist schon ein Unterschied." (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 30.4./1.5.2005)