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Uta Ranke-Heinemann: "Zum Negativen kann sich nichts mehr ändern, denn unter Johannes Paul II. ist der Gipfel einer 2000-jährigen Frauenvertreibung und Sexualfeindlichkeit erreicht. Die Hirten haben sich zu Schlafzimmer- kontrolleuren und Eheverkehrs- polizisten entwickelt."

foto: apa/dpa/Oliver Multhaup
Uta Ranke-Heinemann war die erste Frau der Welt, die einen Universitätslehrstuhl für katholische Theologie erhielt (1970), und sie war die erste Frau der Welt, die ihn wieder verlor (1987), weil sie an der Jungfrauengeburt zweifelte. Sie gilt als vehemente Kirchenkritikerin und Friedensaktivistin. Ihre beiden Bücher "Eunuchen für das Himmelreich" und "Nein und Amen" sind internationale Bestseller. Die Tochter des ehemaligen Bundespräsidenten Gustav Heinemann kandidierte bei der Bundespräsidentwahl 1999 für die PDS, unterlag aber ihrem angeheirateten Neffen Johannes Rau. Die Ex-Studienkollegin von Papst Benedikt XVI. spricht Im E-Mail-Interview mit derStandard.at über ihre Erinnerungen und Erwartungen an und von Joseph Ratzinger. Die Fragen stellten Rainer Schüller und Manuela Honsig-Erlenburg.

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derStandard.at: Die deutsche "Bild"-Zeitung schrieb nach dem weißen Rauch für Ratzinger "Wir sind Papst" - Zählen Sie sich zum "wir" dazu?

Uta Ranke-Heinemann: Das ist schon deswegen nicht möglich, weil in der katholischen Kirche alle Hirten Männer und alle Frauen Schafe sind. Damit scheiden die Frauen, d.h. die Hälfte der Menschheit, aus dem Rennen um das höchste Amt aus. Von Rechts wegen müsste das Papstamt immer abwechselnd an einen Mann, dann an eine Frau gehen. Und nachdem 2000 Jahre Männer Papst waren, müssten jetzt erst mal 2000 Jahre Päpstinnen folgen.

derStandard.at: Sie zeigten sich erfreut ob der Wahl Ratzingers zum Papst. Warum? Schließlich gilt er als Dogmatiker, der die innerkirchliche Linie von Johannes Paul weiterführen wird, die sie vehement kritisierten?

Uta Ranke-Heinemann: Ich hatte tatsächlich nicht für möglich gehalten, dass ausgerechnet ich mich über diese Wahl freuen könnte und dem neuen Papst durchs Fernsehen meine Glückwünsche aussprechen würde. Es war eine rein menschliche Reaktion einer 51-jährigen Sympathie zwischen ihm und mir.

derStandard.at: Sie haben gemeinsam mit Joseph Ratzinger studiert. Hatte er schon damals das Ziel, an die Spitze der Kirche zu kommen, oder hatte er als junger Mann noch anderes im Sinn?

Uta Ranke-Heinemann: Ja, wir haben 1953 und 1954 zusammen in München studiert und unseren Doktor in Theologie gemacht. Er fiel mir damals auf als der intelligenteste unter den Studenten. Und er hatte solch eine bescheidene, fast schüchterne Art, nicht eingebildet und von sich überzeugt. Und dann haben wir - für die Promotion brauchten wir das - unsere deutschen Thesen ins Lateinische übersetzt. Ich sehe uns noch einträchtig nebeneinader sitzend in einem der großen Hörsäle in diese Arbeit vertieft. Und seitdem ist zwischen uns eine gegenseitige Achtung entstanden, die bis heute anhält. Und er war später der einzige von allen deutschen Bischöfen und Kardinälen, der mir auch nach meiner Exkommunikation noch freundlich schrieb. Außerdem war er es nicht, der mir meinen Lehrstuhl (Neues Testament und Alte Kirchengeschichte) weggenommen hat. Ich bin an der Primitivtheologie der deutschen Lokalhirten gescheitert.

derStandard.at: Sie haben Benedikt XVI. "höchste Intelligenz bei Abwesenheit jeglicher Erotik" bescheinigt. Muss ein Papst erotisch sein? Braucht die Kirche Erotik?

Uta Ranke-Heinemann: Das war so: 1991 hatte ich in Italien in der Maurizio Costanzo Show auf die Frage, wie er damals als Student war, gesagt: "Er hatte schon immer die Aura eines Kardinals, höchste Intelligenz bei Abwesenheit jeglicher Erotik". Diesen Satz las ich dann am nächsten Morgen in fünf verschiedenen Zeitung in meinem Hotelbett. Und immer las ich den gleichen Satz und guckte schon gar nicht mehr richtig hin, und plötzlich stockte ich: eine Zeitung (Unita) schrieb den Schluss anders: "Abwesenheit jeglicher Menschlichkeit". Dann habe ich dieser Zeitung geschrieben: Erotik und Menschlichkeit ist nicht das gleiche, bitte korrigieren Sie das. Ich kann nämlich nicht leiden, wenn jemandem Unrecht geschieht.

Erotik, Erotik für einen Papst? Ich interessierte mich auf der Universität für ihn, weil er so intelligent und so bescheiden war, ansonsten war ich seit meinem 17. Lebensjahr mit meinem geliebten, am 11. September 2001 verstorbenen Mann verlobt. Ich habe nur sagen wollen: er war der geborene Kardinal, geeignet zum Papst, wegen seiner monosexuellen Tendenz, die mir damals sehr recht war. Was ich heute theologisch gesehen über diese mangelnde Erotik denke, habe ich ausführlich in "Eunuchen für das Himmelreich. Katholische Kirche und Sexualität" dargelegt.

derStandard.at: Joseph Ratzinger hat in seiner Jugend gemeinsam mit Hans Küng an Reformen gearbeitet. Was ist von seinem Reformwillen heute noch übrig?

Uta Ranke-Heinemann: Das weiß ich nicht. Ich warte ab. Immerhin habe ich mich gefreut, dass er in seiner Anfangsrede nicht das Universum der Jungfrau Maria dargebracht und als road map den Rosenkranz empfohlen hat - wie ich das 26 Jahre lang non-stop ertragen mußte. Er hat vom Frieden geredet. Und da sind er und ich uns wieder total einig, da ich der Meinung bin, die christlichen Hirten interessieren sich nur für Jesu Empfängnis und Tod: "Empfangen vom heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria, gekreuzigt unter Pontius Pilatus." Jesus hätte genau so gut 30 Jahre zu Hause sitzen können und Kreuzworträtsel lösen. Was er zu Lebzeiten sagte und tat, ist für die Kirche Nebensache. Wichtig ist nur sein blutiger Kreuzestod - angeblich nötig zu unserer Erlösung (von was eigentlich wurden wir so grausam erlöst?). Dass Jesu Botschaft "Feindesliebe und keine Vergeltung" war, das hat er in den christlichen Wind geredet und in den christlichen Sand geschrieben. Das Christentum wurde eine heidnische Menschenopferreligion nach religiösem Steinzeitmuster. Umso erfreuter war ich, dass Ratzinger vom Frieden sprach als seinem Programm.

derStandard.at: Denken Sie, dass sich für die Frauen innerhalb der Kirche durch Ratzinger etwas verändern wird? Was könnte sich zum Positiven, was zum Negativen ändern?

Uta Ranke-Heinemann: Zum Negativen kann sich nichts mehr ändern, denn unter Johannes Paul II. ist der Gipfel einer 2000-jährigen Frauenvertreibung und Sexualfeindlichkeit erreicht. Die Hirten haben sich zu Schlafzimmerkontrolleuren und Eheverkehrspolizisten entwickelt.

Zum Positiven ändern? Ich warte ab. Meine einzige Hoffnung ist seine Intelligenz, denn nur ein intelligenter Mensch sieht eigene Fehler ein.

derStandard.at: 1999 sind Sie als Bundespräsidentschafts-Kandidatin für die PDS angetreten. Was war der Grund dafür, dass Sie nicht an die Spitze Deutschlands kamen?

Uta Ranke-Heinemann: Ich bin und bleibe Theologin. Diese Kandidatur gab mir lediglich die Möglichkeit, gegen den Kosovokrieg zu protestieren und gegen die Einführung des Krieges als eines Mittels der Politik. Ich wollte verhindern, das die Deutschen Bomben auf Belgrad und anderswohin werfen. Übrigens, in der besagten Maurizio Costanzo Show in Rom 1991, in der ich die Aussage über die Erotik des Kardinals tätigte, habe ich an den Papst appelliert, alle seine Kardinäle vor dem weißen Haus aufmarschieren zu lassen und gegen den Golfkrieg zu protestieren. Aber der Papst war nicht dazu bereit, sondern befürwortete diesen Krieg. Und somit sind wir wieder bei Ratzinger und seinem Friedensprogramm, über das ich mich mit ihm einig fühle.