Wien - Als die allgemeinen Umstände noch lange nicht so einfach waren wie heute, da ging dennoch manches leichter. Um Wien wurde noch gekämpft, als sich am 11. April 1945 ein paar ehemalige Gewerkschafter trafen, um die Möglichkeiten für die Gründung eines Gewerkschaftsbundes im befreiten Österreich zu diskutieren. Zwei Tage später ging der Kampf um Wien zu Ende - und in der Wohnung von Josef Battisti in der Wiener Kenyongasse 3 wurde der ÖGB von 17 Vertrauensleuten formell gegründet. Wieder zwei Tage später gab es die erste Gewerkschaftskonferenz am Westbahnhof, zwei Wochen später war der Gewerkschaftsbund als Verein genehmigt.

"In vier Tagen ist die Organisation gestanden, nach 19 Tagen war sie genehmigt - da kann man sich heute noch was abschauen", seufzt Fritz Verzetnitsch. Der Präsident, selbst nur wenige Tage jünger als der ÖGB, feierte am Donnerstag den 60. Geburtstag seiner Organisation - mit durchaus kritischen Tönen.

Weniger Mitglieder Nicht, dass der ÖGB seine Leistungen verstecken müsste, ganz im Gegenteil. Aber: "Viele zum Teil hart erkämpfte Erfolge der Gewerkschaften werden heute von vielen Menschen einfach als Selbstverständlichkeit angesehen." In der Praxis versteckt er die Leistungen eben doch - und manche Arbeitnehmer meinen dann, dass etwa die regelmäßigen kollektivvertraglichen Gehaltserhöhungen von selbst kämen.

Das wirkt sich dann auch in der Mitgliederzahl aus: Der Organisationsgrad der Beschäftigten geht langsam, aber stetig zurück - der ÖGB hat heute weniger als 1,4 Millionen Mitglieder, wobei jedes siebente Gewerkschaftsmitglied ein Pensionist ist.

Aber am Donnerstag sollte schön gefeiert werden. Also lud die Gewerkschaft zu Pressekonferenz, festlicher Vorstandssitzung und schließlich zu einer Feierstunde ins Volkstheater. Pflichtschuldig stellte sich Arbeiterkammer-Präsident Herbert Tumpel - er war früher Leitender Sekretär des ÖGB - mit einer Gratulation ein: "60 Jahre Österreichischer Gewerkschaftsbund sind 60 Jahre voller Einsatz für die Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Ohne den Einsatz und die Kraft der vielen Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter wäre die Erfolgsgeschichte der Zweiten Republik gar nicht möglich geworden."

Verzetnitsch nennt als Beispiel dafür, dass die Gewerkschaften in der Nachkriegszeit darum gerungen haben, ob der knappe Zement für den dringend benötigten Wohnraum oder eher für die ebenso dringende Fertigstellung der Kraftwerksgruppe Glockner-Kaprun eingesetzt werden sollte. Die Gewerkschaften steckten im Namen ihrer Mitglieder beim Lebensstandard zurück, der Zement ging nach Kaprun - der Volkswirtschaft hat es genützt.

Und es hat das Selbstverständnis des ÖGB geprägt: Die Gewerkschaften verstehen sich in Österreich als dem Gemeinwohl - und nicht nur den Interessen der Mitglieder - verpflichtet. Zudem hat den damals jungen Anton Benya die Stromknappheit und der gewerkschaftliche Einsatz für die E-Wirtschaft persönlich tief beeindruckt; was erklärt, warum der ÖGB in der Ära Benya so vehement für das AKW Zwentendorf und für Hainburg eingetreten ist.

Beides war vergeblich.

Viel lieber erinnert man sich daher an die sozialpolitischen Erfolge - ob es eigene sind, wie die Arbeitszeitverkürzung oder fremde (wie die Umwandlung der Abfertigung in eine Zusatzpension).

Ein bisserl Kampfgeist schwingt mit, wenn Verzetnitsch über das "Finanzraubrittertum", das die Globalisierung derzeit prägt, herzieht. Oder wenn er das Forderungspaket zum 1. Mai schon bei der ÖGB-Geburtstagsfeier präsentiert. Es enthält Forderungen zur Beschäftigung - eine Milliarde für die Infrastruktur, nicht zuletzt bei der Wärmedämmung von Gebäuden, würde 15.000 Arbeitsplätze schaffen. Und er will eine Steuersenkung: Der ÖGB hätte gerne gleich noch eine Steuerreform für kleine Einkommen; höhere Negativsteuern für jene, die gar keine Einkommenssteuer zahlen, inklusive.