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Der schillernde Schotte George Galloway hofft, dass ihn die Welle des Zorns ins Parlament spült.

Foto: REUTERS/Toby Melville
London - Im britischen Wahlkampf spielt der Irak keine zentrale Rolle, doch im muslimischen Londoner Osten wühlt er die Leute nach wie vor auf. Der schillernde Schotte George Galloway hofft, dass ihn die Welle des Zorns ins Parlament spült.

Sie ist die Lebensader des Londoner Ostens, touristisch und exotisch zugleich, die Brick Lane, die sich von Nord nach Süd durch das East End zieht. Grün-rote Fähnchen werben für Basmati-Reis, Filmplakate für Liebesschnulzen aus Indien, die Reisebüros bieten Billigflüge nach Bangladesch. Alte Frauen im Sari, schwarz verschleierte Mütter, Flaumbärte mit weißen Gebetskappen und Jeans, die in den Kniekehlen hängen – ein buntes Gemisch füllt das Gassengewirr um die Brick Lane.

Dort, wo sich die Einkaufsstraße mit der Fournier Street kreuzt, steht ziegelrot ein Gotteshaus. Die Jame-e-Masjid war nicht immer Moschee. Bis 1976 war sie Synagoge, vor 1898 gehörte sie den Methodisten, erbaut hatten sie 1743 die Hugenotten, die aus Frankreich geflüchtet waren.

Geschichte im Zeitraffer, so liest sich auch das Tagesprogramm auf George Galloways Spickzettel. Als Erstes ein Fototermin an der Cable Street. Der Kandidat besichtigt ein Wandbild. Polizisten zu Pferde, Arbeiterfäuste, Hakenkreuze – das Kunstwerk, hoch wie ein Haus, zeigt eine gewaltige Keilerei. Neben Galloway steht der alte Harold Rosen.

Er erzählt vom Oktober 1936, als die Schwarzhemden des britischen Faschisten Oswald Mosley johlend durchs jüdische Viertel an der Cable Street marschieren wollten, auf erbitterten Widerstand stießen und umkehren mussten. Rosen war 16 damals, Jude und Jungkommunist. "Fängt das Bild die Stimmung gut ein?", fragt Galloway. "Sagen wir so, es fängt die Idee des Sich-Wehrens ein", antwortet Rosen. Der Politiker posiert mit seinem Gesprächspartner für Fotos. Er will zeigen, dass er beileibe nicht nur Muslime zum Kreis seiner Anhänger zählt.

Das East End ist eine Art Transitbahnhof. Wer einwandert, so wie früher die Juden auf der Flucht vor den Pogromen Russlands, wie später die Bengalen vom indischen Subkontinent, landet zuerst im billigen, chaotischen, weltoffenen Osten der Metropole. Inzwischen bekennt sich hier, im Wahlkreis Bethnal Green & Bow, jeder Zweite zum Islam. Etwa 40 Prozent der Bewohner stammen aus Bangladesch. Sie sind Galloways Hausmacht.

Der Mann ist 50, hat früher geboxt, später heiratete er eine palästinensische Biologin. Flotter Schnauzer, voller Bass, starkes Ego, die einen nennen ihn den "Prächtigen George", andere den "Napoleon von Beth^nal Green". Er fährt Mercedes, raucht kubanische Zigarren, kann aus dem Stegreif feurige Reden halten.

Im Bunker mit Saddam

Zweimal, 1994 und 2002, hat er Saddam Hussein in Bagdad besucht. Beim zweiten Mal, in einem Bunker, brachte er dem Despoten Pralinees, lobte ihn als mutigen Streiter und bat, den Waffeninspektoren die Türen zu öffnen.

Als dann britische Soldaten im Irak einmarschierten, rief Galloway sie zur Meuterei auf: Die Befehle dieser Armee seien so illegal wie der Krieg selbst. Blair schmiss ihn aus der Labour Party, der Schotte gründete seine eigene Partei "Respect", nun will er sich für die Schmach rächen. "Mein Gegner heißt Tony Blair", sagt er. "Oona King ist nur sein Küken. Sie ist der Pudel des Pudels von George W. Bush."

Oona King (37) sitzt seit 1997 als Abgeordnete im Unterhaus, eine von den "Blair Babes", den jungen Frauen, die New Labours strahlender Superstar anfangs förderte. King ist die Tochter eines afroamerikanischen Bürgerrechtlers und einer britischen Jüdin. Sie hat Blair in den hitzigen Irak-Debatten hundertprozentig unterstützt. Kein Zufall, dass Galloway sich gerade mit ihr duelliert.

Abends wird in der Queen Mary University heiß diskutiert. Links sitzt George Galloway, rechts Oona King, dazwischen zwei Außenseiter, ein Konservativer und ein Liberaldemokrat. Galloway schimpft auf die Supermarktkette Tes- co: "Die fahren Rekordgewinne ein und zahlen trotzdem nur Hungerlöhne."

Draußen wird es sehr laut. Schreie, Polizeisirenen, radikale Islamisten versuchen den Saal zu stürmen. Diesmal ohne Erfolg. Kurz zuvor hatten sie einen Versammlungsraum besetzt und Galloway schwer eingeschüchtert. "Wir bauen schon an deinem Galgen", hatten sie ihm zugerufen. "Du bist ein falscher Prophet, der wahre Islam duldet keine Wahlen. Wer wählen geht, verdient die Todesstrafe." (DER STANDARD, Printausgabe, 29.04.2005)