Wien - Der Sozialbericht 2003/2004 wird nicht im Plenum des Nationalrates öffentlich diskutiert, sondern - nach dem Willen der Regierungsmehrheit - im Ausschuss enderledigt. Für die SPÖ ist dies Anlass zu scharfer Kritik: Dieser "traurige Tätigkeitsbericht" der Regierung werde "im Ausschuss versteckt", kritisierte Familiensprecherin Andrea Kuntzl am Donnerstag in einer Pressekonferenz mit Sozialsprecherin Heidrun Silhavy und Gesundheitssprecher Manfred Lackner. Silhavy nannte den Bericht eine "Schande für ein so reiches Land wie Österreich".

Höchste Armutsgefährdung seit Jahrzehnten

Nach wenigen Jahren schwarz-blauer Regierung gebe es laut dem Sozialbericht 2003/2004 in Österreich mehr als eine Million armutsgefährdeter und fast eine halbe Million in akuter Armut lebender Menschen. Die Regierung steuere dieser Entwicklung nicht entgegen, sondern verstärke sie mit vielen ihrer Maßnahmen. Die sozialpolitische Bilanz von Schwarz-Blau zeige "ein echtes Desaster", kritisierte Silhavy: Die höchste Armut und Armutsgefährdung seit Jahrzehnten, die höchste Arbeitslosigkeit der Zweiten Republik. 38 der 58 schwarz-blauen Belastungsmaßnahmen hätten direkt den Sozialbereich betroffen, die Pensionen würden seit 2000 real massiv gekürzt. Mit Kürzungen im Arbeitslosen-Bereich und dem Kindergeld habe die Regierung einen "tatsächlichen Beitrag zur Armutsgefährdung" geliefert.

"Viel zu lange zugeschaut"

Der Bericht bestätige, dass Erwerbsarbeit ein wirksamer Schutz gegen Armut sei, so Silhavy. Die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit müsse also "höchste Priorität" haben. Die Regierung habe hier "viel zu lange zugeschaut", meinte Silhavy. Aber nicht nur Arbeitslosigkeit, auch Teilzeitarbeit oder prekäre Beschäftigungsverhältnisse erhöhten das Armutsrisiko. Sozial sei also nicht, wie Bundeskanzler Wolfgang Schüssel (V) immer sage, "was Arbeit schafft", sondern "was Arbeit schafft, von der man auch leben kann".

Problematische Situation der Alleinerziehenden

"Dramatisch verschlechtert" habe sich die Situation der Familien, betonte Kuntzl. Gerade die Menschen, "deren Lebensmodell den Vorstellungen der Regierung entspricht, sind durch ihre Maßnahmen in die Armut hineingerutscht". Vor allem Alleinerziehende, Familien mit mehreren Kindern und solche mit nur einem Haushalts-Einkommen - wo die Mutter zu Hause bleibt - seien armutsgefährdet. Das von ÖVP und FPÖ eingeführte Kindergeld erhöhe die Armutsgefährdnung, weil der Wiedereinstieg in den Beruf nach einer längeren Babypause viel schwieriger werde.

Erwerbstätigkeit der Frauen fördern

Die SPÖ fordert deshalb einen "effizienten Maßnahmenmix": Der wichtigste Schüssel sei die Erwerbstätigkeit der Frauen. Weiters müsse das Kindergeld flexibilisiert (also höhere Auszahlungen pro Monat bei kürzerer Babypause), die Zuverdienstgrenze bei reduzierter Arbeitszeit gestrichen werden; das Recht auf Teilzeitarbeit müsse durch ein Rückkehrrecht in Vollzeitarbeit verbessert, Kinderbetreuungsplätze geschaffen werden. Außerdem pochte Kuntzl auf das SPÖ-Modell der "bedarfsorientierten Grundsicherung".

"Art Staatswohltätigkeit"

Als "Offenbarungseid der Regierung" bezeichnete Lackner den Sozialbericht. Er zeige zunehmende Armut und Krankheit bei gleichzeitig zunehmendem Reichtum und Vermögen. Verteilungsgerechtigkeit und arbeitsmarktpolitische Maßnahmen seien der Regierung "offenbar fremd"; übrig bleibe nur eine "Art Staatswohltätigkeit", die an ausgewählte Bedürftige Almosen verteilt. Mit der Aushöhlung des Sozialsystems und der Abkehr vom solidarisch finanzierten Gesundheitssystem, Leistungskürzungen und zunehmenden Selbstbehalten bewirke die Regierung die Verarmung und die Verschlechterung des Gesundheitszustandes weiter Bevölkerungsgruppen. (APA)