Lynne Featherstone, Kandidatin der Liberaldemokraten, hofft auf die Stimmen linker Kriegsgegner.

Foto: STANDARD/Stackl

Labour-Abgeordnete Barbara Roche verteidigt ihren Parlamentssitz und die Politik der Regierung Blairs.

Foto: STANDARD/Stackl
"Bloody Hell!" Herzhaft fluchend reißt eine Frau mit kurzem, grellrotem Haar die Tür ihres stattlichen Hauses in der Victoria Road im Norden Londons auf. "Lynne Featherstone, meine Stimme haben Sie", begrüßt sie die Kandidatin der Liberaldemokraten, die, mit einer Papierrosette in der Parteifarbe Gelb geschmückt, in ihrem Wahlkreis Hornsey and Wood Green auf Stimmenfang von Tür zu Tür geht.

"Ich bin Sozialistin und habe immer Labour gewählt, aber nach der Invasion im Irak und der Einführung von Studiengebühren überlege ich, den Lib Dems beizutreten", sagt die Frau, die sich als Psychologin vorstellt. "Und: Könnten Sie nicht dafür sorgen, dass eine Buslinie nach Hampstead geführt wird?"

Ihr Viertel, wo in prachtvollen Vorgärten Magnolien und Kamelien blühen, gehört zu Muswell Hill, einem Zentrum wohlhabender Linksintellektueller und deshalb boshaft "Muesli Hill" genannt. 2001 gewann die Labour-Abgeordnete Barbara Roche, 51, eine in Oxford ausgebildete Juristin - bis 2003 auch Staatssekretärin im Innenministerium -, im gesamten Wahlkreis haushoch. Sie kam auf fast die Hälfte der 44.000 Stimmen. Die ebenfalls in Oxford ausgebildete Unternehmerin Featherstone, 54, die als Verkehrsexpertin im Londoner Gemeinderat sitzt, blieb um 10.600 Stimmen zurück. (Die Konservativen landeten abgeschlagen auf dem dritten Platz.) Heuer laufen in diesem Wahlkreis "zwei Favoritinnen um den Sieg", wie auch der aussichtslose konservative Kandidat, der pensionierte Postbeamte Peter Forrest, zugibt. Viele von Tony Blair enttäuschte Labour-Wähler überlegen einen Wechsel zu den bisher wenig bedeutsamen Liberalen (die 2001 mit 18 Prozent der Stimmen nur 52 der 659 Mandate gewannen).

Innerhalb einer Stunde erhält Featherstone Zusagen von sechs Wählern, vor allem wegen des Irakkriegs, gegen den sie selbst demonstriert hat. "Und Labour behauptet immer noch, dass der Irak an den Haustüren keine Rolle spielt", sagt die Liberale dem STANDARD. Obwohl hier Spitzenverdiener leben, ist die von den Lib Dems geforderte Anhebung ihrer Einkommensteuer von 40 auf 50 Prozent kein Gesprächsthema. "Wenn man eine kostenlose Betreuung für alte Menschen und die Abschaffung der Studiengebühren will, ist man bereit, mehr Steuern zu zahlen", glaubt Featherstone.

Einer der Befragten windet sich: "Ich will meine Stimme nicht vergeuden", sagt er. Bei solchen Wählern hakt die Labour-Führung ein. Sie nennt betuchte Kritiker "Chardonnay-Linke" und warnt vor den Folgen, die eine von ihnen ermöglichte konservative Regierung den Armen brächte.

Einsatz für Multikulti

Für die ist Barbara Roche in einem anderen Viertel des Wahlkreises unterwegs. In der Moselle Street klappert sie die engen Reihenhäuser einer um 1900 gebauten ehemaligen Eisenbahnersiedlung ab, wo in manchen Vorgärten kaputte Möbel stehen. Roche erhält Wahlzusagen eines schwarzer Busfahrers, einer jungen Catering-Managerin und einer alten Frau, die sich aber vor allem über Lärm in der Nachbarschaft beschweren will.

Auf der Straße jagen Buben unterschiedlicher Hautfarbe einem Ball nach, manche tragen die roten Dressen ihrer Fußballgötter von Arsenal. Roche deutet auf das Gemeindezentrum, wo mehrsprachige Aufschriften zum Vorschul-Förderprogramm "Sure Start" hängen. "Wir haben viele Millionen in bessere Bildung investiert", sagt Roche. Die vom Bedarf der Wirtschaft getriebene Labour-Einwanderungspolitik habe London zu einer vibrierenden, multikulturellen Stadt gemacht. Doch dann kommt das Irak-Thema auch hier: "Ich war mit dem Krieg gar nicht glücklich", sagt Helen, eine junge Mutter, zu deren Füßen mehrere Kleinkinder spielen. "Es gefährdet die Sicherheit in diesem Land, so eng mit den USA verbündet zu sein."

Vom STANDARD gefragt, ob sie auch für den Krieg gestimmt hätte, wenn klar gewesen wäre, dass es im Irak keine Massenvernichtungswaffen gibt, bleibt Barbara Roche hart: "Ich bin für Interventionismus in der Außenpolitik. Ich bin Jüdin und glaube, dass im Zweiten Weltkrieg viele Menschen zu retten gewesen wären, wenn die Alliierten die Bahnlinien zu den KZs bombardiert hätten. Außerdem leben in meinem Wahlkreis viele irakische Kurden, die fürchterlich gelitten haben." (DER STANDARD, Print, 28.4.2005)