Die Federzeichnung "Mädchenhalbakt, die linke Hand an die Wange gelegt" von Egon Schiele vor...

Foto: Albertina

...und nach den Eingriffen: Der Restaurator bleichte das Blatt und eliminierte - unter Substanzverlust - die Bruchfalten in der Mitte.

Foto: Albertina

Und die Farben einer Gouache wurden retouchiert.

Wien – Kein Zweifel: Mit den Werken von Egon Schiele wurde auch sehr viel Schindluder getrieben. Man negierte zum Beispiel die Komposition – und legte ein Passepartout über unbearbeitete Teile des Blattes. Oder man knickte eine Zeichnung einfach um, weil die fein gestrichelte Scham im unteren Teil dem Betrachter die Röte ins Gesicht zu treiben drohte: Aus dem Hoch- wurde ein halb so großes Querformat.

Aber was, wenn man Jahre später diese Bildbeschneidungen nicht mehr will? Dort, wo das Passepartout lag, ist das Papier weit weniger gebräunt. Und der Knick ist unübersehbar. Na und, könnte man sagen: Jedes Bild erzählt eben auch seine Rezeptionsgeschichte; und gerade die Spuren machen den Reiz aus. Dies jedenfalls ist die Haltung des Bundesdenkmalamtes: Werke seien in der Regel zu konservieren – in jenem Zustand, in dem sie sich derzeit befinden. Und es steht mit dieser Ansicht nicht alleine da.

Klaus Albrecht Schröder, Direktor der Albertina, hingegen wollte nicht länger mit makelbehafteten Schiele-Blättern leben. Er legte aber nicht selbst Hand an – wie einst der Schiele-Experte Rudolf Leopold, über dessen Restaurierungspraktiken sich Schröder vor Jahren "gewundert" hat, um es vornehm auszudrücken: Er ließ fünf Zeichnungen zu einem Restaurator in die Schweiz verbringen.

Temporäre Ausfuhr

Das Denkmalamt wurde, wie bereits am 12. März berichtet, in Unkenntnis gelassen: Im Juni 2004 beantragte die Albertina die vorübergehende Ausfuhr zwecks "maltechnischer Untersuchung". Dies hätte, so Pressesprecher Stefan Musil, durchaus der Wahrheit entsprochen. Denn erst nach eingehender Prüfung habe man sich zu restauratorischen Maßnahmen entschlossen. Aber auch über den geänderten Zweck der Ausfuhr unterrichtete man das Denkmalamt nicht – obwohl die Albertina ein Ansuchen um Fristverlängerung (weitere sechs Monate) stellte. Dieses wurde gewährt, weil man gutgläubig davon ausging, dass es sich in der Tat "nur" um eine Untersuchung handelt.

Zwei der fünf Blätter (die Liegende Frau mit geneigtem Kopf aus 1913 und das Brustbild eines rothaarigen Mädchens aus 1910) befinden sich noch in der Schweiz; die anderen drei sind wieder zurück – und nun in Amsterdam ausgestellt. Die Gouache Erlösung aus 1913 hätte, so der Restaurierungsbericht, "entstellende Farbausbrüche, vornehmlich in den blauen Flächen" aufgewiesen. Sie wurde daher "mit Pigmenten" retouchiert.

Die Bleistiftzeichnung Mädchenhalbakt, die linke Hand an die Wange gelegt und die Gouache Knabe mit langem Rock, die Hände schützend zum Kopf erhoben (beide aus dem Jahr 1910) seien übermäßig stark gebräunt gewesen. Daher: "Einsatz von Chloramin T vermittelst Maske und entsprechend auf der mit der chemisch wirksamen Lösung vorbereiteten Unterlage auf dem Saugtisch. Nach Wässern Nachbehandlung mit Natriumborhydrid in der gleichen Weise als Antichlorbehandlung und zur nachgewiesenen Ausschwemmung von Schadpartikeln. Wässern. Nachbehandlung mit gepufferter Methylcellulose."

Oxydatives Bleichmittel

Christa Hofmann, Chefrestauratorin der Nationalbibliothek (ÖNB), erklärte gegenüber dem STANDARD, dass Chloramin T ein "oxydatives Bleichmittel" sei, das heutzutage kaum mehr und in ihrem Haus überhaupt nicht verwendet werde: "Es ist sehr schwer, es wieder herauszulösen. Daher besteht die Gefahr, dass das Papier früher altert. Das haben Studien bewiesen."

Und Johann Kräftner, Direktor des Liechtenstein Museums, sagt: "Nie und nimmer würden wir Chloramin T einsetzen. Wie bleichen nichts. Wir waschen die Blätter auch nicht mehr, wir konservieren sie: Sie werden nur vom Staub gereinigt." Er sei übrigens erst durch Schaden klug geworden: Eine Zeichnung von Pietro Nobile, die er habe bleichen lassen, sei ein Jahrzehnt später zerfallen. "Papier ist geduldig. Aber nicht immer."

Beim nackten Mädchen zückte der Schweizer "Schönheitschirurg" zudem das Skalpell. Denn ein Vorbesitzer hatte das Blatt um einen drei Millimeter dicken Karton gefaltet. Die Intention des Bildes war damit zerstört. Wieder aufgeklappt, wies es eben zwei horizontale Bruchfalten auf. Es sei daher "unumgänglich" gewesen, so der Restaurator in seinem Bericht, "die zerstörten Fasern mechanisch zu entfernen und das Papier – in diesem Falle zweimal – neu ineinander zu verarbeiten. (...) Die Frage der Reversibilität ist in diesem Falle obsolet."

Indiskutable Methode

Die konkrete Vorgangsweise erklärt der Restaurator nicht. Laut Fachmeinung werde in derartigen Fällen das Blatt getrennt: Die neuen Ränder würden unter Substanzverlust geschärft und die Papierteile danach wieder zusammengefügt. Christa Hofmann von der ÖNB: "Das ist eine für unser Haus indiskutable Methode. Wir wären um einen Kopf kürzer, wenn wir das machten." Auch Knicke würden zum Alterungsprozess dazugehören.

Der Schweizer Restaurator rechtfertigt die Eingriffe dahingehend, dass die Schäden "zweifelsfrei auf unsorgfältige, zum Teil rücksichtlose Behandlung" zurückzuführen seien: "Da durch diese Misshandlung die künstlerische Absicht Schieles bis zur Unkenntlichkeit zerstört wurde, habe ich mich dazu entschieden, ebendiese entstellenden Schäden bestmöglich rückgängig zu machen."

Die restaurierten Blätter seien von Marieliese Schack, der ehemaligen Chefrestauratorin der ÖNB, begutachtet worden. Sie hätte die Maßnahmen als korrekt und vom konservatorischen Gesichtspunkt aus als absolut notwendig beurteilt. Schack war für den STANDARD leider nicht zu erreichen.

In der Albertina sieht man die Sache ganz anders. Deren Restaurierungsabteilung hätte sich geweigert, die von Schröder gewünschten Eingriffe an den – seiner Meinung nach – "Leichen" vorzunehmen. In der Fachwelt werden nun heftig Für und Wider diskutiert. (DER STANDARD, Printausgabe, 27.04.2005)