Berlin - Die Kapitalismuskritik von SPD-Chef Franz Müntefering soll nach dem Willen von Gewerkschaften und führenden Sozialdemokraten in Deutschland konkrete Konsequenzen haben. Nach Angaben des Vorsitzenden des parlamentarischen Wirtschaftsausschusses, Rainer Wend (SPD), wird jetzt geprüft, welche Gesetzgebungsmöglichkeiten es dafür gibt. Der sozialdemokratische Parteichef hat rücksichtslose Profitorientierung von Teilen der Wirtschaft angeprangert. Führende Repräsentanten der großen Kirchen haben seiner Kritik beigepflichtet. Ein SPD-Kongress am 13. Juni soll für den Parteitag im Herbst Fragen der Unternehmer-Ethik erörtern.

Wend nannte im Gespräch mit dem Düsseldorfer "Handelsblatt" als Beispiele für Maßnahmen der Gesetzgebung neben dem Entsendegesetz auch die Offenlegung von Managergehältern sowie Initiativen auf europäischer Ebene, "um die Erpressbarkeit durch Unternehmen zu reduzieren". Dabei habe er vergleichbare Steuerbemessungsgrundlagen und "eine gewisse Spannbreite bei den Steuersätzen" im Auge. Auch über das Thema Verlustverrechnung müsse die SPD neu nachdenken.

Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) forderte Konsequenzen aus der Kapitalismus-Kritik. Die stellvertretende DGB-Chefin Ursula Engelen-Kefer pochte in der "Passauer Neuen Presse" auf eine EU-weite Mindestbesteuerung für Unternehmen, eine Ausweitung des Entsendegesetzes sowie eine Spekulationssteuer. Der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Michael Müller rief nach einer Grundsatzdebatte. Es gehe nicht darum, die Wirtschaft zu beschimpfen, sagte er im Bayerischen Rundfunk. Man müsse grundsätzlich fragen, "ob mit den bisherigen Methoden eine soziale Marktwirtschaft überhaupt machbar ist". Die Sozialdemokratie müsse dem Eindruck entgegenwirken, dass sie die Debatte nur aus wahltaktischen Gründen führe.

BDI fühlt sich an dreißiger Jahre erinnert

Der ehemalige Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Hans-Olaf Henkel, fühlt sich durch die gegenwärtige Diskussion an die dreißiger Jahre, die Zeit der Machtübernahme der Nazis in Deutschland, erinnert. Henkel sagte im ZDF, auch damals seien ausländische Investoren für die Misere in Deutschland verantwortlich gemacht worden. Münteferings Vergleich ausländischer Investoren mit einer Heuschreckenplage sei "ziemlich starker Tobak". Zwar gebe es einige schwarze Schafe, deshalb dürfe man aber nicht das gesamte System verunglimpfen.

Der Direktor des Hamburger Weltwirtschaftsinstituts, Thomas Straubhaar, nannte die Kritik des SPD-Vorsitzenden im ZDF berechtigt. Müntefering habe eine Wertediskussion angeschoben, die in anderen Ländern längst so geführt werde. Allerdings könne die Diskussion mittel- und langfristig Investoren abschrecken. Der Bremer Wirtschaftswissenschafter Rudolf Hickel warf der SPD "Doppelbödigkeit"vor. "Die Kritik an den Exzessen eines aufflammenden Turbo-Kapitalismus ist richtig", sagte Hickel am Dienstag der Deutschen Presse-Agentur. Konsequenzen in der rot-grünen Bundespolitik blieben jedoch aus. So gebe es weiter Steuerfreiheit für Gewinne aus dem Verkauf von Kapitalbeteiligungen an so genannte Finanzhaie. Dieses Steuerprivileg müsse abgeschafft werden.

Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) hat die Kapitalismus-Kritik Münteferings aufgegriffen und die Unternehmer ermahnt, ihrer Verantwortung besser gerecht zu werden. "Manager haben Vorbildfunktion. Wenn man von Mitarbeitern Opfer verlangt, muss man das auch für sich selbst gelten lassen", sagte Wulff dem Sender n-tv mit Blickrichtung auf die in den vergangenen Jahren deutlich gestiegenen Managergehälter. Deutliche Kritik äußerte Wulff an Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann, der notwendiges Fingerspitzengefühl habe vermissen lassen. "Man kann nicht einerseits über den Anstieg der Gewinne philosophieren und gleichzeitig bekannt geben, dass man Tausende von Menschen frei setzen will", kritisierte der CDU-Politiker. (APA/AP/dpa)