Bruce Springsteen lässt auf seinem neuen, sehr zurückhaltenden ALbum "Devils & Dust" die Gänsehaut aufziehen: "I feel a dirt wind blowing, devils and dust."

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Mit zwölf neuen Songs setzt sich der 55-jährige Sozialromantiker einmal mehr für die Armen und Ausgegrenzten dieser Welt ein.


Wien – Pathos ist das letzte Refugium der Verlierer. Wer sonst nichts mehr hat, wer freigestellt, ausgegrenzt, abgewiesen, abgeschoben, davongejagt wird aus einer Welt, die im Neoliberalismus so eng zusammenrückt, dass der Platz nicht mehr für jeden reicht, dem bleibt das Scheitern in Würde und mit großer Geste.

Und damit dieses Scheitern nicht vergeblich bleibt und vergessen wird, weil so gar keine trotzige Hoffnung mehr eingefordert wird, muss etwas geschehen. Deshalb hebt an den Lagerfeuern in New Jersey alle paar Jahre ein ebenso großes Wehklagen an – weit draußen vor den Toren der großen Stadt, die einmal in den Büchern der Alten als das Zentrum des verheißenen Landes gepriesen wurde.

Mit Gitarre, Mundharmonika und Wolfsgeheul deklamiert dort einer mit bebender und zitternder Stimme das Prinzip Hoffnung. Eines fernen Tages mögen die von Mühsal Beladenen vielleicht doch noch einmal zusammen aufstehen. Um die Welt mit ihrer unerschütterlichen Liebe und dem Glauben an das Gute zu umarmen. Damit sie aus den Liedern ihrer Sehnsucht ein neues Jerusalem bauen.

Verloren . . .

Von Häusern, die kein Heim mehr sind, geht hier die Kunde. Und davon, dass unten an der mexikanischen Grenze oder in dunklen Hinterhöfen und Branntweinstuben zwischen New Jersey, Nevada und West Texas Menschen ohne Stimme noch immer Einlass begehren in dieses gelobte Land. Obwohl sie oft schon mittendrin sitzen. Und zwar auf der Straße.

In die Geschichten, die der Mann erzählt, wird mit einfachsten Mitteln derart viel Pathos hineingepackt, dass es einem die Gänsehaut aufzieht. Und Bruce Springsteen, der große amerikanische Volksheld und Chronist, erzählt diese ewig gleichen Stories vom Sehnen, Verlangen und Scheitern heute inniger und kraftvoller denn je. Sein neues Album Devils & Dust ist nach seinen vielleicht größten Arbeiten, den weithin unterschätzten Songsammlungen Nebraska und The Ghost of Tom Joad, im Gegensatz zu seinen Welterfolgen mit der mächtig im Cinemascope-Format rockenden‑ E Street Band wieder eine vergleichsweise stille Platte geworden.

Der alte Sozialromantiker mit der elektrischen Gitarre lief immer schon zur Höchstform auf, wenn er statt des gewöhnlich auch mit dem "Amerikanischen Traum" verwechselten Aufbruchs oder Ausbruchs ins Unbekannte ("Born to run!") mit harten Bildern zur akustischen Gitarre den Zusammenbruch in realen Verhältnissen kommentierte – und warum man sich davon trotzdem nicht brechen lassen oder den Mut verlieren dürfe.

Nach seiner vielfach als Schlüsselarbeit gewerteten CD The Rising aus 2002, auf der er das Trauma von 9/11 stellvertretend für eine ganze Nation zu verarbeiten versuchte, ist Springsteen jetzt wieder zu den "kleinen Katastrophen" zurückgekehrt. Unter der Produktionsregie des sonst für heftige Gitarren und Drums bekannten Rockproduzenten Brendan O'Brien stellt der 55-Jährige oft derart karge Landschaften nach, wie sie hier auch in Stücken wie Matamoros Banks oder Reno besungen werden.

Eine akustische, sich oft von den Melodien her im "mexikanischen Fach" bedienende Klampfe oder weite, verwunschene Flächen aufziehende Keyboards dienen neben Rumpelbass und Beserlschlagzeug als Unterlage. Darüber wimmern bis auf die Knochen abgenagte Geigen und Slide-Gitarren oder wird ein Frauenchor gehörig vom kalten Nachtwind in der Wüste durchgeblasen.

. . . im gelobten Land

Nur selten, etwa in Long  Time Comin' oder Maria's Bed, dem einzigen tatsächlich optimistischen Song von Devils & Dust, wird gewohnt zielstrebig losgerockt. Man müsse, so Springsteen in den Kommentaren zum neuen Album, hinter den Song und dessen Struktur zurücktreten, sich ganz auf den Erzählrhythmus einlassen und das Autoren- Ich aufgeben. Der Rest ergebe sich von allein.

Springsteen kommt diesbezüglich zwar nicht ohne das seit Jahren typische Stammpersonal seiner Songwelten aus: Ertrunkene mexikanische Flüchtlinge, die vom Flussbett herauf die Geschichte ihres Lebens erzählen. Einsame Cowboys, die bei einer Hure Trost suchen. Heruntergekommene Typen, die in Bars kurz vor der Sperrstunde wieder einmal verzweifelt an die große Liebe neben ihnen an der Theke glauben.

Wir hören etwa in The Hitter vom lakonisch erzählten, traurigen Los eines Preisboxers bei illegalen Hinterhofkämpfen, der sein Auskommen mit Wettbetrug fristet. Wir lauschen in Long Time Comin' einem unbehausten Wanderarbeiter, wie er an einem Lagerfeuer neben seinen schlafenden Kindern und seiner schon wieder schwangeren Frau ein Mantra davon singt, dass doch jetzt endlich alles besser werden müsse: "Tonight I'm gonna get birth naked and bury my old soul – and dance on its grave, and dance on its grave."

Und wir erleben, dass das Wünschen dann doch auf später verschoben werden muss: "Well if I had one wish in this forsaken world, kids, it'd be that your mistakes would be your own, yeah, your sins would be your own."

Und dann hebt es zu einem himmlischen Chor wieder an, dieses unvergleichliche, sich vor Ergriffenheit überschlagende Heulen von New Jersey her. Die Welt ist ein trauriger Ort. Aber manchmal ist es gut, dieses eine seltene Gefühl zu haben: Es könnte auch besser laufen. Irgendwann. Vielleicht. (DER STANDARD, Printausgabe vom 23./24.4.2005)