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derStandard.at: Der japanische Ministerpräsident Junichiro Koizumi hat sich in Indonesien für die Kriegsvergangenheit seines Landes entschuldigt . Zeitgleich ehren japanische Parlamentsabgeordnete verurteilte Kriegsverbrecher. Ist das Einlenken Japans ernst gemeint?

Otmar Höll: Ich bin eigentlich sicher, dass Japan es ernst meint, weil diesmal recht dezidiert eine Schuld eingestanden wurde. Die Japaner wollen alles andere, als sich mit China in einen Gewaltkonflikt zu begeben. Es ist aber in der Innenpolitik Japans eine schwer vermittelbare Tatsache, dass eine historische Aufarbeitung notwendig ist. In Japan wurde zum Umgang mit den Massakern in China bisher noch kein verbindlicher Konsens gefunden. Nur so kann es dazu kommen, dass gleichzeitig zu einer offiziellen Entschuldigung Japans japanische Parlamentsabgeordnete zum Tokioter Yasukuni-Schrein für Japans Kriegstote pilgern, in dem auch verurteilte Kriegsverbrecher geehrt werden. Beide Seiten sind in einer prekären Situation, weil "Das Gesicht zu wahren" in beiden Kulturen eine große Rolle spielt.

derStandard.at: Verbirgt sich hinter den Spannungen zwischen Japan und China vor allem ein Konflikt um die Vormachtstellung in Asien?

Otmar Höll: Es ist typisch, dass es zu solchen Konflikten dann kommt, wenn sich die relativen Kräfteverhältnisse zwischen Staaten in einer Region verschieben. Es geht in der ostasiatischen Region derzeit um sehr viel. Mit Indonesien, Malaysia und den anderen Schwellenländern gehören China und Japan zur wirtschaftlich dynamischten Region. Wenn diese Länder in der Lage wären, gut miteinander zu kooperieren, dann ist die Region innerhalb von zwanzig, dreißig Jahren eine der stärksten weltweit. Das ist der oberen politischen Ebene natürlich klar. Einen ernsthaften, dauerhaften Konflikt wollen beide Seiten schon deshalb nicht.

derStandard.at: Wie steht die Internationale Gemeinschaft zu dem Konflikt?

Die ist natürlich äußerst besorgt. Sowohl wirtschaftlich als auch politisch. Vor allem den USA kommt dieser Konflikt äußerst ungelegen, schließlich brauchen sie sowohl die Unterstützung der Chinesen als auch der Japaner in den 6er-Gesprächen um das nordkoreanische Atomprogramm. Als Balancer und Standardgeber bleibt die USA außerdem in der Region auch in den nächsten Jahren von großer Wichtigkeit. Die EU hat da sowieso einen konfliktdeeskalierenden Ansatz.

derStandard.at: Unter welchen Voraussetzungen hat eine Versöhnung zwischen Japan und China Chancen?

Die Voraussetzung ist natürlich, dass die Vergangenheit aufgearbeitet wird - und zwar mit klaren Symbolen. Bisher waren die Entschuldigungen bei China zu blumig und zu umschreibend. Was mir sofort in den Sinn kommt, ist die Situation der sozialdemokratschen Regierungen in Europa Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre. In der neuen Ostpolitik wurde damals eine starke Symbolik angewendet: Willy Brandt der sich in Warschau niederkniet, Khol-Mitterand, die sich in der Normandie die Hände reichen. Auch in Japan und China bedarf es noch dieser großen Symbole. Es muss sich natürlich niemand auf die Knie legen, aber ein starkes Händereichen der führenden Köpfe wäre angebracht. Inwieweit das schon in Zukunft passieren wird, weiß ich nicht, hier muss eine innenpolitische Aufarbeitung erst vorangehen. (mhe)