In Deutschland geregelt, in Österreich ausständig: die Rehabilitierung der von NS-Gerichten verurteilten Deserteure.

Foto: Fischer/DÖW
Die schwarze Schweigespirale drehte sich am Donnerstag weiter. Die ÖVP-Spitze ließ sich keine Kommentare zum freiheitlichen Bundesrat Siegfried Kampl, für den Deserteure "Kameradenmörder" sind, entlocken. Dabei haben die Äußerungen Kampls mittlerweile zu einer offiziellen Mitteilung der israelischen Botschaft geführt: "Die Botschaft ist besorgt, dass eine solche Einstellung zu Verbrechen der Nazi-Herrschaft noch immer möglich ist, vor allem von einem Mitglied des österreichischen Parlaments."

Bundeskanzler Wolfgang Schüssel war zum Thema Deserteure nicht immer so schweigsam. In einer Parlaments-Feier im Jänner würdigte er "die Desertion aus der Deutschen Wehrmacht als Teil des Widerstands gegen das NS-Regime." Diese verbale Anerkennung ändert aber nichts daran, dass Wehrmachtsdeserteure in Österreich seit 60 Jahren vergeblich auf Rehabilitierung warten.

Rehabilitierung dauert

"Endlich erfahren Deserteure späte Gerechtigkeit." Zu gerne würde die grüne Justizsprecherin Terezija Stoisits jene Worte in den Mund nehmen, mit denen ihr Parteikollege aus dem Deutschen Bundestag, Volker Beck, vor drei Jahren über die Absicherung von Wehrmachtsdeserteuren Bilanz ziehen konnte.

Anders als in Österreich hat Deutschland seit dem 17. Mai 2002 die vollständige kollektive Rehabilitierung von Wehrmachtsdeserteuren, die von NS-Gerichten verurteilt worden waren, beschlossen. Bereits 1991 hatte Deutschland den ersten Schritt für die Männer gesetzt, die Hitler die Gefolgschaft verweigerten: Deserteure können seither ihre Haftzeiten für die Pension anrechnen lassen und bekommen auch Entschädigung.

Pension für SS leichter

In Österreich ist beides nicht möglich. Wer wegen Fahnenflucht ins Gefängnis oder in Konzentrationslager musste, bekommt diese Zeiten nicht für die Pensionsversicherung angerechnet. Ehemalige Angehörige der Waffen-SS haben die Probleme nicht. Und um die Rehabilitierung wird seit Jahren gestritten: Deserteure können nur nach Prüfung ihres Einzelfalls rehabilitiert werden, nicht aber kollektiv. Im Jahr 1999 beauftragte der Nationalrat eine Forschergruppe um Walter Manoschek (siehe Interview) mit Untersuchungen, seither wird schleppend debattiert. Zu Beginn des Gedankenjahres 2005 hat Bundespräsident Heinz Fischer gemahnt, Deserteuren demonstrative Gerechtigkeit angedeihen und Urteile der NS-Militärjustiz wegen Desertion, Fahnenflucht, Hochverrat und Fahnenflucht kollektiv aufheben zu lassen.

Diese Lösung scheint derzeit nicht in Sicht. Erst vergangene Woche wurde ein Gesetzesantrag der Grünen von der Tagesordnung des Justizausschusses genommen. Dessen Leiterin, Maria Fekter (ÖVP), begründet das im STANDARD-Gespräch damit, dass der von der ÖVP gewünschte Vier-Parteien-Konsens "nicht fertig" sei. Fekter geht trotz jahrelangen Stillstands im Parlament davon aus, dass es heuer eine Lösung gibt, "die verschiedene Standpunkte miteinbezieht". Stoisits kann sich das "mit Leuten wie Kampl und Co" nicht vorstellen.

Auch FPÖ-Justizsprecherin Helene Partik-Pablé sieht keinen Handlungsbedarf. Justizministerin Karin Miklautsch steht am Standpunkt, dass mit der "Befreiungsamnestie" 1946 alle Unrechtsurteile aufgehoben wurden. Stimmt nicht, kontert Jurist Reinhard Moos von der Uni Linz: Beinhalte die Befreiungsamnestie doch "keine Verurteilungen von Sondergerichten und des Volksgerichtshofes". Möglich, dass der "Fall Kampl" die jahrelange Debatte beschleunigt.

Auf jeden Fall könnte er ein anderes juristisches Nachspiel haben: Die steirischen SP-Freiheitskämpfer prüfen eine Klage gegen Kampl - nach dem NS-Verbotsgesetz. (DER STANDARD, Print, 22.4.2005)