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derStandard.at: In Deutschland werden Fahnenflüchtige des Zweiten Weltkriegs kollektiv rehabilitiert. Wie ist es möglich, dass in Österreich im Jahr 2005 der künftige Bundesrats-Vorsitzende meint, Deserteure der Hitler-Armee seien "Kameradenmörder"?

Peter Pirker: In Deutschland wurden die Deserteure bereits im Mai 2002 durch den Bundestag kollektiv rehabilitiert. Die Ansicht von Bundesrat Kampl ist eine geradezu typische postnationalsozialistische Verdrehung. Der Historiker Thomas Geldmacher hat unter 1276 österreichischen Wehrmachtsdeserteuren ganze fünf Fälle gefunden, die bei ihrer Desertion schwere physische Gewalt angewendet haben.

Deserteure entschieden sich, nicht mehr am Angriffs- und Vernichtungsfeldzug von Hitlers Armee teilzunehmen. Etliche schlossen sich dabei den Partisanen und den alliierten Armeen an. Da hat Kampl recht: Diese Deserteure wussten, dass die Wehrmacht bekämpft werden musste, wenn man so will auch die ehemaligen Kameraden, wenn der Nationalsozialismus geschlagen werden soll. Das ist Kampf gegen den Nationalsozialismus, nicht Mord. Kampl steht offensichtlich bis heute auf der anderen Seite.

derStandard.at: Deserteure erhalten im Gegensatz zu SS-Angehörigen, denen die Kriegsjahre auf die Rente angerechnet werden, in Österreich für die Kriegszeit keine Pension. Von den 25 bisher gestellten Ansuchen auf Opferfürsorge wurden 24 abgelehnt. Ist eine Änderung absehbar?

Peter Pirker: Tausende Deserteure gerieten in die gnadenlosen Mühlen der Wehrmachtsjustiz. Insgesamt wurden zwischen 15.000 und 20.000 Deserteure hingerichtet, davon dürften etwa zwischen 1.200 und 1.400 Österreicher gewesen sein. Tausende andere kamen in KZ und Gefängnisse. Für diese Zeit konnten sie nie Ersatzzeiten für die Pensionsversicherung anrechnen lassen. Das gilt bis heute. Es gibt keine Signale der Regierung, dass ihr eine Änderung ein Anliegen wäre. Im Gegenteil, die Sache wird seit Jahren verschleppt.

derStandard.at: Wie ging das Nachkriegsösterreich mit überlebenden Deserteuren um?

Peter Pirker: Im Nachkriegsösterreich wurden Deserteure, die eine eklatante Minderheit unter den Wehrmachtssoldaten waren, oft als Feiglinge beschimpft. Justizministerin Miklautsch ist Feigheit zuletzt auch als erstes zu Deserteuren eingefallen. Die Feigheit bezog sich wohl immer darauf, dass sie nicht so "mutig" waren, bis zum bitteren Ende an der Seite eines Unrechtsregimes zu stehen. Dafür mussten die Deserteure auch nach dem Krieg büßen. Die Deserteursfrage zeigt die enge Verzahnung von österreichische Nachkriegsgesellschaft und nationalsozialistischer Volksgemeinschaft. (bed)