Feinstaub: Wilder Streit ums Messnetz Drei Experten der Universität Wien üben heftige Kritik am Feinstaub-Messnetz der Stadt Wien: Die Messstellen würden nicht der Önorm entsprechen. Die Stadt weist die Vorwürfe zurück - und zerpflückt ihrerseits die Stellungnahme der Uni-Experten.

***

Unter Luft-Experten ist ein heftiger Streit um die Genauigkeit der Wiener Feinstaubmessungen ausgebrochen. Dem STANDARD eine Stellungnahme von drei Mitarbeitern des Instituts für Experimentalphysik der Universität Wien vor, die dem Wiener Messnetz ein trauriges Zeugnis ausstellt. Die Statuserhebung der MA 22 (Umweltschutz) "entspricht nicht dem Stand der Technik und Norm".

Die Umweltschutzabteilung der Stadt Wien (MA 22) gibt die Kritik umgehend zurück und spricht von "offensichtlichen Informationsdefiziten der Studienautoren".

Im Uni-Papier heißt es: Aus der Begutachtung der Messstellen könne "geschlossen werden, dass die überwiegende Mehrzahl der Probeentnahmeorte . . . nicht der ÖNORM M5852 entsprechen und somit für einen Vergleich, wie ihn das Gesetz erfordert untauglich sind", so das Urteil der Autoren Georg Reischl, Aron Vrtala und Paul Wagner.

"Andere Norm"

Dazu die MA 22: "Die ÖNORM M5852 beschäftigt sich gar nicht mit Feinstaub (PM-10), sondern mit Gesamtschwebestaub. Die für PM10-verbindliche Norm ist die EN-12341." Und: "Wir messen konform zum Immissionsschutzgesetz-Luft, die dazu verbindlichen Standortkriterien sind vollzählig in der Messkonzept-Verordnung aufgelistet, die wir selbstverständlich erfüllen."

Mehr noch: "Die gesetzlich vorgegebenen Standortkriterien widersprechen zum Teil den Vorgaben der Önorm", wird seitens der MA 22 betont. So sei beispielsweise die in der Verordnung geforderte Messung an der Baufluchtlinie "unseres Erachtens nach kaum mit der Forderung nach unbeeinflusster freier Anströmung vereinbar".

Die "Anströmbarkeit"

Und der von den Uni-Experten am häufigsten genannte Mangel ist: Bei den meisten der Wiener Messstellen sei die "freie Anströmbarkeit" nicht gewährleistet. Meist seien es Häuser oder Bäume, die ein ungehindertes Anströmen der Luft behindern. Wobei Bäume wie Filter wirken und den Feinstaubanteil (PM-10) reduzieren können, so Vrtala im STANDARD-Gespräch.

Die MA 22 kontert: "Die Norm fordert idealisierte Messbedingungen, die in der realen Welt - vor allem in Städten - fast unmöglich einzuhalten sind." So fordere die Norm etwa, "dass der Probenahmeort mindestens so weit von den die Luftströmung beeinflussenden Hindernissen (Bäume, Häuser) entfernt ist, wie die doppelte Höhe dieser Hindernisse. Bei einer durchschnittlichen Gebäudehöhe von ca. 20 Metern müsste also in einem Umkreis von 40 Metern freie, unbebaute und baumlose Steppe vorliegen."

Die von den Uni-Experten am meisten kritisierte Messstelle ist jene in der Rinnböckstraße. Auf der einen Seite behindere eine Hausmauer die freie "Anströmbarkeit" der Entnahmestelle. Auf der anderen Seite behindere eine Baumallee den freien Luftstrom. Und: "Ferner befinden sich die Abluftströme zweier Klimaanlagen in unmittelbarer Nähe."

Andere Messstelle

Die MA 22: Die offiziell in den Monats- und Jahresberichten veröffentlichten Werte würden garnicht von dem kritisierten Gerät stammen, sondern "ausschließlich aus dem alle gesetzliche Vorgaben erfüllenden Referenzgerät". Kleines Detail: "Das näher gelegene Klimagerät ist außer Betrieb, das weiter entfernt liegende ist 15 Meter entfernt und beeinflusst die Probenahme wohl kaum."

"Schade ist, dass die Verfasser vor Veröffentlichung ihrer Stellungnahme nicht das Gespräch mit den Experten der MA 22 gesucht haben", bedauert Karin Büchl-Krammerstätter, Leiterin der MA 22. "Es hätte sich dadurch sicher ein Großteil der offenbaren Missverständnisse und Informationsdefizite leicht ausräumen lassen." Und sie erinnert daran, dass "das Umweltbundesamt die gute Qualität und Repräsentativität der vom Wiener Luftmessnetz erhobenen Schadstoffdaten explizit hervorhebt."

Eines ist jedenfalls sicher: Jetzt ist genug Zeit für einen weiteren Expertenstreit. Die Spitzenbelastungen der Feinstaub-Saison gehen traditionellerweise Ende März wieder zurück - und kehren erst ab dem Herbst wieder. (Roman David-Freihsl/DER STANDARD; Printausgabe, 20.4.2005)