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Parkfield ist ein notorisches Erdbebengebiet

Foto: AP/Kazanjian
Grafik: STANDARD
Washington - Man muss sich dem Ungeheuer nähern, will man es besiegen. Für Seismologen heißt das, in einen Erdbebenherd zu bohren. Dorthin, wo die Erdkruste zerreißt, die Energie tausender Atombomben freigesetzt werden kann. An der San-Andreas-Verwerfung in Kalifornien, der gefährlichsten Bebenlinie der Welt, läuft das Projekt. Es besteht Gefahr, dass die Bohrung Beben auslöst.

Erstmals wühlt sich ein Bohrer durch die Nahtzone zweier Erdplatten - eine wissenschaftliche und technische Pioniertat mit ungewissen Folgen. Der 57 Meter hohe Bohrturm des Safod-Projekts (San Andreas Fault Observatory at Depth) steht bei Parkfield. Der Ort gilt als Erdbebenhauptstadt der Welt, mehrmals täglich zittert dort der Boden.

Schuld ist die Verwerfung, die fast ganz Kalifornien durchzieht. An ihrer Narbe schieben sich zwei Erdplatten aneinander vorbei: Das auf der Pazifikplatte gelegene Los Angeles und San Francisco auf der Nordamerikanischen Platte werden so in 18 Millionen Jahren verschmelzen. Schon jetzt ist in beiden Metropolen ein Starkbeben überfällig. In einem solchen Fall rechnet die US-Regierung allein in Los Angeles mit 15.000 Toten.

Schon 2002 trieben Seismologen eine erste Pilotbohrung neben Parkfield in den Grund, versenkten darin Sensoren. Mitte vergangenen Jahres begann die Hauptbohrung. Sie stieß zunächst senkrecht zwei Kilometer vor, wurde dann abgelenkt und arbeitete sich in einem Winkel an die Verwerfung heran (siehe Grafik). Am 28. September erschütterte jedoch ein stärkeres Beben die Gegend. Die Techniker mussten sich am Bohrturm festhalten. Geräte flogen umher, verletzt wurde niemand. Doch die Hauptbohrung war noch nicht mit Instrumenten bestückt, die Sensoren im ersten Loch ausgefallen: Die Forscher hatten den Moment verpasst, den sie ersehnt hatten.

In den kommenden Monaten stößt die Safod-Bohrung nun in die spannendste Phase vor. In 2,5 Kilometer Tiefe wird der Bohrer in die Zone der Bebenherde und schließlich in die Endtiefe von 3,2 Kilometer vordringen. Danach sollen Stichbohrungen in die Erdbebenzone getrieben, dann endlich alle Bohrlöcher mit Sensoren verkabelt werden.

Besonders gespannt sind die Seismologen auf die Messung von Fluiden: Wasser, das unter hohem Druck steht und deshalb weder flüssig noch gasförmig ist. Vielleicht dringt es vor Beben aus dem Gestein und wirkt als Schmiermittel - ein mögliches Warnsignal.

"Gut geschmiert"

Hinweise auf die Wirkung von Fluiden in der Verwerfung fanden kürzlich Seismologen um Robert Nadeau von der Uni Kalifornien. Sie hatten beobachtet, dass das Gestein in 20 bis 40 Kilometer Tiefe häufig minutenlang zittert. Möglicherweise werde das Gestein aufgrund austretenden Wassers "schlüpfrig". Besonders nördlich von Parkfield scheint die Erdkruste "gut geschmiert". Dort bewegen sich die Erdplatten mit drei Zentimetern pro Jahr aneinander vorbei, wie Geologen um Sarah Titus von der Uni Wisconsin nun in Geology bestätigen. Doch es bebt nicht.

Warum zittert südlich von Parkfield die Erde immer wieder, während die Platten im Norden ungerührt vorwärts kriechen? Die an der Schnittstelle gelegene Safod-Bohrung soll Antworten liefern. Da sich bei Parkfield ruhige und Zitter-Episoden abwechseln, erscheint kein Ort besser geeignet, die Frage, wie sich Erdbeben ankündigen, zu beantworten: Ist es leichtes Zittern in der Tiefe, der Austritt von Fluiden oder was sonst? (Axel Bojanowski/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 19. 4. 2005)