Der britische Starökonom Richard Layard wünscht sich, dass die meisten Menschen weniger arbeiten. Von verordneter Arbeitszeitverkürzung hält er jedoch wenig.

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STANDARD: : In ihrem Buch kritisieren Sie jene neoliberale Wirtschaftspolitik, die nur nach mehr Wachstum strebt. Dies macht die Menschen nicht glücklicher, sagen Sie. Ist das eine Absage an alle Wirtschaftsreformen? Layard: Es gibt eine Tendenz in den USA und Großbritannien, Reformen als Selbstzweck zu betrachten. Das ergibt keinen Sinn. Nicht jeder Bürger will ständig etwas Neues, und die einen dürfen ihre Wünsche nicht den anderen aufzwingen. Vertrauen in der Gesellschaft benötigt auch ein gewisses Maß an Stabilität. Aber ich will nicht den Status quo verteidigen. Manches muss dringend geändert werden, etwa die Arbeitsmarktpolitik in Deutschland.

STANDARD: Die Hartz-IV-Reformen mit ihren härteren Zumutbarkeitsregeln ähneln jenen Vorschlägen, die Sie einst der Regierung Blair gemacht haben.

Layard: Ich bin sehr für Hartz-IV, denn die Behandlung von Arbeitslosen ist die Hauptursache für die hohe Arbeitslosigkeit in Deutschland und Frankreich. Vielleicht glauben die Arbeitslosen, dass sie ohne Job besser dran sind als mit einem, den sie nicht gewohnt sind. Aber dank der wissenschaftlichen Methoden der Glücksmessung weiß man, dass Arbeitslose glücklicher werden, wenn sie wieder arbeiten - egal, was es ist.

STANDARD: In welchen Bereichen ist das kontinentale Modell dem britischen überlegen?

Layard: Ich versuche seit zehn Jahren, euer Lehrlingssystem in Großbritannien einzuführen. Dieses ermöglicht es jungen Menschen, schnell in die Arbeitswelt hineinzukommen und dort zu lernen, wie man als Erwachsener lebt. Ich sehe nämlich eine Gefahr in einer Jugendkultur, die mit der Welt der Erwachsenen nicht verbunden ist.

STANDARD: Hat die Regierung Blair Fortschritte gemacht?

Layard: Quantitativ schon. Etwa ein Drittel aller Jugendliche gehen heute in die Lehre. Aber die Qualität vieler Lehrstellen ist schlecht. Es fehlt bei vielen Lehrlingen die Bereitschaft, das, was, man angefangen hat, bis zum Ende durchzustehen und nicht aufzugeben, bloß weil man anderswo im Augenblick mehr verdienen kann.

STANDARD: Sie wollen, dass die Menschen weniger arbeiten, und schlagen dafür sogar höhere Steuern auf Arbeit vor.

Layard: Viele Ökonomen halten es für effizient, wenn jeder so viel arbeitet, als ob es überhaupt keine Steuern gäbe. Das ist ein Irrtum. Wenn Steuern die Leute davon abhalten, zu viel zu arbeiten, dann ist das gut für die Gesellschaft. Wir brauchen keine höheren Abgaben, aber wir sollten Steuern als Mittel sehen, um die Balance zwischen Arbeit und Freizeit zu verbessern.

STANDARD: Macht also Arbeitszeitverkürzung glücklicher?

Layard: Historisch gesehen ist es ganz normal, wenn die Menschen einen Teil ihres Wohlstandsgewinns in Form von mehr Freizeit nehmen. Abnormal sind die USA, wo immer länger gearbeitet wird. Ich bin allerdings für Flexibilität und gegen eine künstliche Einschränkung aller Arbeitnehmer wie die 35-Stunden-Woche. Diese trägt nichts dazu bei, dass die Arbeitslosigkeit sinkt. Das ist ein schlechtes ökonomisches Argument.

STANDARD: Sie haben - anders als andere Ökonomen - kein Problem mit einem ausgeprägten Kündigungsschutz.

Layard: Kündigungsschutz erhöht die Langzeitarbeitslosigkeit, weil weniger Leute angestellt werden, aber senkt die Kurzzeitarbeitslosigkeit, weil weniger Arbeitnehmer freigesetzt werden. Der Beschäftigungseffekt ist neutral, die Arbeitslosigkeit bleibt gleich. Und beide machen letztlich gleich unglücklich.

STANDARD: Wie würden Sie im Lichte Ihrer Forderungen die Politik Tony Blairs beurteilen?

Layard: Blair hat erkannt, wie wichtig Arbeit ist, damit Menschen ihr Leben genießen können. Positiv war auch die massive Erhöhung der Gesundheitsausgaben und die höhere Rücksicht auf die sozial Schwächeren. Weniger gut ist der Managementstil im öffentlichen Dienst. Trotz mehr Geld und Prestige ist dort die Arbeitsmoral nicht gestiegen. Schuld daran ist, dass den Dienstnehmern kein Vertrauen entgegengebracht wird. Sie werden ständig an neuen Zielen gemessen. Diese werden zum Instrument der Angst.

STANDARD: Sind die Briten heute glücklicher als vor acht Jahren?

Layard: Sie sind es nicht, und das zeigt, wie schwer es ist, das Glück von Menschen zu erhöhen. Wichtiger als die Arbeitswelt ist das Familienleben, und gegen die Zerfallserscheinungen hier kann die Regierung weniger tun. Dafür wäre vor allem notwendig, dass die Menschen nicht nur an sich selbst denken. Der Anstieg des Individualismus hängt eng mit der Scheidungsrate zusammen. Schädlich ist auch die Ideologie vieler Labour-Politiker, die den Leuten versprechen: "Wir helfen euch vorwärts zu kommen." Doch das macht die Gesellschaft nicht glücklicher, weil nicht alle vorwärts kommen können. Wenn es einem gelingt, dann fällt ein anderer zurück.

STANDARD: Sie fordern also eine egalitärere Gesellschaft?

Layard: Ich möchte Menschen wieder dazu ermutigen, dass sie Dinge tun, weil sie ihnen Freude bereiten, und nicht, weil sie sich davon bessere Berufschancen versprechen. Das gilt auch fürs Schulwesen. Früher wurde aus Lust am Lernen unterrichtet, heute heißt es: "Wir bilden dich aus, damit du Karriere machst und die Wirtschaft schneller wächst." Unser Schulsystem muss vor allem dazu verwendet werden, den Bürgern wieder das Gefühl zu geben, dass sie nicht nur für sich, sondern auch für andere verantwortlich sind. (Eric Frey, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 18.4.2005)