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Wien – Der politische Sprengstoff wurde gut verpackt mitgeliefert: Der Exkurs der Zukunftskommission (ZK) zur Gesamtschule, die unverhohlen als "echter Fortschritt" für das österreichische Schulsystem, aber "derzeit ohne realistische Durchsetzungschance" bezeichnet wird, brachte am Tag nach der Präsentation des ZK-Endberichts unterschiedliche Lesarten zutage. SP-Bildungssprecher Erwin Niederwieser meinte am Donnerstag, die Passagen zum Reizthema Gesamtschule würden sich streckenweise "wie ein Bericht der Diplomatischen Akademie" lesen. Die fünf Experten hätten an sich "gute Arbeit" abgeliefert, aber die versteckte (und an eine Expertenkommission delegierte) Gesamtschulpassage deute darauf hin, dass man sich den Unmut von Bildungsministerin Elisabeth Gehrer (VP) nicht zuziehen habe wollen.

SP-Wissenschaftssprecher Josef Broukal warf der Kommission beim Thema Gesamtschule "Feigheit" vor. Sie kritisiere das bestehende System heftigst, komme zum Schluss, die Gesamtschule sei sinnvoller und formuliere dann statt einer Empfehlung eine Begründung, warum die Gesamtschule der VP unzumutbar sei.

"Alle ziehen die gleichen Schlüsse" – bis auf Gehrer, meinte SP-Familiensprecherin Andrea Kuntzl. Die SPÖ will jetzt im Parlament einen Antrag für die Einführung eines Elternrechts auf ganztägige Betreuung einbringen.

"Jetzt erst recht" Gesamtschule, ist der Schluss, den Grünen-Bildungssprecher Dieter Brosz aus dem ZK-Endbericht zog. Das Fehlen dieses Themas sei "der zentrale Fehler" des Berichts: "Die politische Wertung, ob ein großer Wurf sinnvoll ist, sollte der Politik überlassen werden", kritisierte Brosz die Kommission. Diese habe so viele Vorteile der Gesamtschule formuliert, die man "eins zu eins übernehmen kann. Dieses Modell hat eigentlich nur einen Gegner – die ÖVP."

Die Volkspartei und Gehrer denken in der Tat nicht daran, die Gesamtschule zu diskutieren oder einzuführen. Das Bildungsministerium bekräftigte, man werde den Kommissionsempfehlungen zur Verbesserung des Unterrichts folgen, Strukturreformen seien nicht ausschlaggebend für die Weiterentwicklung des Schulsystems. VP-Bildungssprecher Werner Amon erklärte Gehrer zur "Garantin für die Umsetzung notwendiger Reformen". Die Opposition möge sich doch bitte "endlich kons^truktiv" einbringen, anstatt nur dem "undifferenzierten Miesmachen" zu frönen. VP- Generalsekretär Reinhold Lopatka warf der Opposition "Jammerrhetorik" vor.

Oberösterreichs Landesschulratspräsident Fritz Enzenhofer (VP) verteidigt Gehrer im Standard-Gespräch gegen Vorwürfe, die Kommission habe unter ihrem Druck das Thema Gesamtschule ausgelassen: "Bei Strukturreformen muss man das Verhältnis zwischen Aufwand und Nutzen abwägen. Mit gutem Willen müsste es möglich sein, im Parlament eine Grundsatzeinigung zu erzielen."

Gehrer schlägt aber auch Kritik aus VP-nahen Kreisen entgegen: "Offensichtlich kann die Regierung gar nicht mehr anders als schulpolitisch gegen das Volk zu regieren", kritisierte die konservative, kirchennahe "Plattform zur Beibehaltung der Zweidrittelmehrheit bei wichtigen Schulgesetzen" das Beharren der Regierung auf Streichung dieses Stimmerfordernisses.

Auch GÖD-Chef Fritz Neugebauer hat in dieser Frage einen "etwas anderen Zugang" als Gehrer, hält aber ansonsten "die Zeit reif für Entscheidungen" im Schulbereich.

(DER STANDARD-Printausgabe, 15.4.05)