Wien - Die europäischen Staatskirchen sind überall "von der Auszehrung befallen: Von religiösen Körpern, die Derivate des Staates sind, gehe keine moralische Kraft aus", schreibt Kardinal Joseph Ratzinger in seinem am Mittwoch in Deutschland herausgebrachten Buch "Werte in Zeiten des Umbruchs" (Herder-Verlag). Nur die Besinnung auf christliche Werte sichere Frieden und Fortbestand der Gesellschaft. Der Kommunismus sei mehr an der "Unterordnung der Moral unter die Bedürfnisse des Systems" als an der Ökonomie zerbrochen.

"Freilich schreitet auch in den Vereinigten Staaten die Auflösung des christlichen Erbes voran", beklagt er. "Das Anwachsen der Gewalt, die Flucht in die Droge, das Zunehmen der Korruption lässt uns sehr fühlsam werden, dass der Werteverfall materielle Folgen hat."

"Dass es Werte gibt, die für niemanden manipulierbar sind, ist die eigentliche Gewähr unserer Freiheit und menschlicher Größe . . . Die Gültigkeit der Menschenwürde verweist auf den Schöpfer: Nur er kann Rechte setzen, die nicht zur Disposition stehen". In Europa "gibt es einen merkwürdigen und nur als pathologisch zu bezeichnenden Selbsthass des Abendlandes", das sich lobenswerterweise fremden Werten öffnen wolle, "aber sich selbst nicht mehr mag, von seiner eigenen Geschichte nur noch das Grausame und Zerstörerische sieht". (red, DER STANDARD, Print, 14.4.2005))