Norbert Brainin

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London - Zitiert man den Spruch, wonach Musiker Noten erst dann mit Substanz versehen können, wenn sie selbst eine beachtliche Menge an Erlebtem und Erlittenem angesammelt haben, dann war Norbert Brainin schon früh im Besitz dieses "Schatzes". Allerdings ist sicher, dass der Wiener Geiger bezüglich seiner Entwicklung gerne ein gemütlicheres Tempo bevorzugt hätte.

Allerdings hatte Brainin keine Wahl. 1938 musste er aus Wien vor den Nazis flüchten und landete in England. Dort wurde er Profimusiker, und dies auf einem Niveau, das ihn im Laufe seiner Karriere zu einer global akklamierten Autorität in Sachen Kammermusik werden ließ. Sein Amadeus Quartett wurde zum einflussreichen Ensemble jener Sparte, die als Inbegriff des differenzierten und exakten Musizierens gilt.

Transparenz, Intensität, ein gemeinsames Atmen beim Zusammenspiel und doch auch die Ausnutzung von vorhandener Individualität der Spieler: Für diese Qualitäten stand das Amadeus Quartett und beeinflusste so Generationen von Kammermusikern, die sich für Wiener Klassik und Schubert interessierten.

Nach Österreich war Brainin nie zurückgekehrt - außer für Konzerte. "Ich bin englischer Staatsbürger und Wiener - a echt's Weanerkind. Das mit Österreich ist eine andere Sache", erklärte Brainin 1999 dem STANDARD, als er in Wien war, um das Goldenen Verdienstzeichen des Landes Wien entgegenzunehmen.

Heimat? Brainin hat durch die Erfahrung der Entwurzelung eine ganz eigenen Vorstellung davon entwickelt: "Ich hatte so eine Art plötzlicher Erkenntnis, als ich in den 70er-Jahren in Tokio zu unterrichten hatte. Da spielte ein japanisches Streichquartett Brahms, sehr gut, das war für mich Wiener Musik, meine Musik, und ich begriff: Das ist meine eigentliche Heimat. Ich hatte sie also immer bei mir in Form einer Partitur und in mir als Klang. Das konnte mir keiner nehmen."

Norbert Brainin ist am Sonntag in London 82-jährig einem Krebsleiden erlegen. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 13.4.2005)