Christoph Cech und Max Nagl

Foto: STANDARD/Fischer
Am Donnerstag und am Sonntag erlebt Wien mit "Orfeo" und "Der siebte Himmel in Vierteln" Theaterpremieren zweier bekannter österreichischer Improvisationsmusiker. Andreas Felber sprach mit Christoph Cech und Max Nagl über die Verstaubtheit von Oper, über Monteverdi und Franzobel.

STANDARD: Was motiviert Musiker wie Sie, die sich primär außerhalb des akademischen Establishments bewegen, sich mit einem Genre zu beschäftigen, das für viele als Inbegriff der verstaubten Historizität des klassischen Musikbetriebs gilt?

Nagl: In erster Linie, weil es die Möglichkeit gab – ich selbst wäre nicht auf die Idee gekommen, Musiktheater zu machen. Mich reizte die Kompositionsarbeit für 20, 25 Musiker, zudem die Sänger. Für mich ist das auch eine Herausforderung, weil ich noch nie etwas für richtiges Orchester komponiert habe – ich habe ja auch nicht Komposition studiert. Das hat mich einfach interessiert – und ich hab's gemacht.

Cech: Zunächst muss man einmal fragen: Warum kriegen Leute wie wir überhaupt Opernaufträge? Das liegt wahrscheinlich nicht an den Produzenten, sondern an den Musikern selbst. Es gibt in der zeitgenössischen Musik eine freie Szene von Musikern wie eben bei Netzzeit, die definitiv nicht im Orchester, sondern andere Musik spielen wollen, die offen sind gegenüber Improvisation. Leute, die auf der Suche sind nach anderer als der normierten neuen Musik. Wir kommen aus einer anderen Richtung und liefern deshalb für diese Szenerie erfrischende Werke ab. Wir sind die bunten Hunde!

Bei der Oper interessiert mich dasselbe, was mich an der katholischen Kirche interessiert: der Weihrauch, der Pomp, die Verwesung. Oper fängt an mit dem Jargon, wie der Dirigent mit Sängern spricht. Alles ist streng ritualisiert, das ist amüsant. Mich interessiert die Frage, ob ich es schaffe, meine Musik durch diese Maschinerie durchzuwürgen, und man am Ende noch den Cech erkennt.

STANDARD: Sie sind beide keine Neulinge im Musiktheater-Sektor. Nagls Jazzmärchen kam 2002 an der Volksoper heraus, Cechs Stefan-Zweig-Oper Aus allen Blüten Bitternis liegt schon gut zehn Jahre zurück. Wie haben Ihre dabei gemachten Erfahrungen nun Ihre Herangehensweisen beeinflusst?

Cech: Ich bin primär in der Behandlung der Stimmen erfahrener geworden. Früher dachte ich, man kann "SängerInnen" wie Instrumente führen. Das geht aber speziell bei Opernsängern nicht, durch die Stimmgewalt und das Breitbandvibrato.

STANDARD: Was gab den Ausschlag, sich den Sujets einer komödiantischen Operette mit fast schon plakativem politischen Zeitbezug und einer 400 Jahre alten "Favola in musica" zuzuwenden?

Nagl: Die inhaltliche Ebene war für mich weniger wichtig, es hätte auch eine andere Geschichte sein können. Natürlich sprechen mich die darin enthaltene Verrücktheit und Verlogenheit an, die die Alltagspolitik prägt – gerade angesichts des jetzt zu erlebenden innenpolitischen Kasperltheaters. Auch beim Papstbegräbnis konnte einem übel werden, als Bill Clinton, die Bushs und Außenministerin Rice die Trauernden mimten.

Im Vordergrund stand für mich aber die musikalische Herausforderung: Ich habe den Text gelesen und mitgesummt, mitgesungen und das dann gleich notiert. Da hatte ich dann ein Gerüst. Wobei Franzobels Text sehr musikalisch war. Viel davon war singbar, er sagte mir, dass er einiges nach Liedern geschrieben hatte, die er im Kopf hatte. Es waren auch ein paar Zitate dabei, die ich gerne aufgegriffen habe. Insofern kam mir die Form Operette entgegen, ich war im Kopf für die Sachen, die ich gerne mache, ein bisschen freier. Auch von den tänzerischen Elementen her, Polka, Walzer, all das gibt es.

Cech: Als man mir das Thema anbot, habe ich aber das Werk von Monteverdi sehr gut gekannt, weil ich mir als Kind mit elf oder zwölf diese alte Harnoncourt-Aufnahme gekauft habe. Das war meine Einstiegsdroge in die alte Musik. Orpheus ist der Musiker schlechthin. Er kämpft, womit viele Musiker kämpfen. Du projizierst andauernd, du bist eine Gefühlsschleuder. Du machst aus echten Gefühlen Musik, also eigentlich unechte – was ist echt? Euridice kommt bei Claudio Monteverdi genau zweimal vor. Man weiß nicht: Ist das eine Person, ist das Orpheus selbst? Ist sie eine Allegorie seiner Musik? Diese Deutung bleibt offen. Es geht um die Sehnsucht, diesen emotionalen Aspekt künstlerischer Arbeit, authentisch zu leben.

Ich habe einen zärtlichen, intensiven Zugang zur Originalmusik gesucht, wollte weder in Musical-Reharmonisierungen noch in Sphären neuer Musik verfallen, wo Tonalität einfach nicht mehr sein darf. Es ist tatsächlich eine Art Koproduktion.

Dort, wo Monteverdi im Original vorkommt, ist er eine Schicht von fünfen. Ich habe barocke Pausbäckigkeit vermieden. Mein Bild dieser Oper ist die eines Hologramms, etwas, das im nächsten Moment wieder weg sein kann. Mir war wichtig, dass die Hörenden das Gefühl beschleicht, da wird etwas aus den Tiefen der Zeit geholt, und es ist nicht sicher, ob das nicht gleich wieder zusammenbricht. Und ob nicht beim Beamen ein paar Gliedmaßen in der Zeit geblieben sind. Da habe ich dann andere Körperteile dazukomponiert, meine persönlichen "Aliens" daraus gebaut. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 13.4.2005)