Grafik: DER STANDARD
Die Erinnerung an Lady Di hängt wie ein riesiger Schatten über der Hochzeit von Prinz Charles und Camilla Parker Bowles. Das königstreue Volk, speziell jenes aus dem ärmlichen Londoner East End, sieht die Sache differenzierter als die Klatschpresse.

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London - Nein, diese Ehre lässt sich der König nicht nehmen. Selbstverständlich wird er dabei sein am Samstag in Windsor, obwohl er das Brautpaar nicht mag. Egal, Sympathien sind Nebensache, und Dienst ist Dienst. Lästig nur, dass Seine Majestät so früh aus dem Bett muss, die Züge vom Bahnhof Waterloo hinaus werden schnell voll sein und Harry Mayhead braucht ein gutes Plätzchen vor dem Standesamt. Er will ja nicht nur sehen, sondern auch gesehen werden, vor den Kameras aus aller Welt flanieren.

Harry Mayhead ist der Perlenkönig, "His Majesty The Pearly King of Bow Bells and Blackfriars". Er steht für eine uralte Tradition, für das unsichtbare, gleichwohl reißfeste Band zwischen denen ganz unten, die in den Armenvierteln des Londoner Ostens leben, und denen ganz oben, den Royals in ihren Palästen.

Harry, jetzt 78 Jahre alt, hat früher auf Wochenmärkten Koteletts und Ripperln verkauft. Als er in Pension ging, wurde er Perlenkönig. Zwölftausend Perlmuttknöpfe glitzern an seinem Anzug, jeden einzelnen hat er selbst angenäht. Gekrönt hat man ihn standesgemäß in der Kirche St. Mary le Bow. Es heißt, nur wer ihren Glockenschlag hört, dürfe sich rühmen, ein waschechter Cockney zu sein, Ostlondoner Urgestein.

Problem mit Titel "Ach wissen Sie, unser Charles ...", sagt Volkes Stimme Harry, "... vielleicht wird die Queen so alt wie ihre Mutter. Dann ist er achtzig, dann muss er gar nicht mehr auf den Thron, dann kann sein Sohn William gleich übernehmen."

Es ist Harrys Wunschszenario. Aber was, wenn Charles seine Mutter, die eiserne Elizabeth II, doch früher beerben muss? Wenn Camilla dadurch Königin wird? Das Recht dazu hat sie, obwohl sich die Royals alle Mühe geben, die Fakten zu vernebeln. Frau Parker Bowles, heißt es, werde dereinst freiwillig auf den Titel verzichten.

"Natürlich kann sie Königin werden, sie kann es und sie sollte es auch", sagt Catherine Brooks-Baker und ist sich dabei absolut sicher. Immerhin, hier spricht eine Autorität: Brooks-Baker arbeitet beim Adelsverlag Burke's Peerage, der den Stammbaum jedes Blaublütigen bis in die allerletzten Verästelungen aufzeichnen kann.

Die feine Lady sagt auch, dass die Royals nicht einfach tun und lassen könnten, was sie wollen. Dass sie auf die Stimmung im Land achten müssten, auf die Umfragen, die Medien. Es sei eben klüger, die frühere Mätresse von Charles behutsam als Prinzgemahlin einzuführen.

Queen Camilla, ja oder nein? - das ist bei dieser Heirat der gefährlichste Stolperstein. Mag die Frage auch noch gar nicht aktuell sein, sie bereitet treuen Untertanen schon jetzt schlaflose Nächte. Fast 75 Prozent der Briten sind für die Monarchie, zwei Drittel aller Briten lehnen aber den königlichen Status für die Braut ab. Das ist das Spannungsfeld, in dem das Paar vorsichtig lavieren muss.

"Lasst uns über diese Brücke erst gehen, wenn wir sie erreichen", rät Perlenkönig Harry, ganz der englische Pragmatiker. "Wenn sich Camilla im Dienst bewährt, immer nett zu den Leuten ist, fleißig Geld sammelt für Kranke und Waisen, wer weiß, dann wird man sie in 20 Jahren vielleicht auch als Königin akzeptieren." Und überhaupt: "Was hier zählt, ist nicht das Personal, was hier zählt, ist die Krone. Die macht uns Briten zu Briten, an der halten wir fest."

Eine erzpatriotische Stimme im insularen Chor, der kurz vor der "Hochzeitsfarce" (Daily Mail) so dissonant klingt wie selten. Der mächtigen Yellow Press geht es einzig darum, die Windsors vorzuführen, als Chaotenhaufen, der nicht mal eine Trauung vernünftig zu planen weiß; geschweige denn abzusichern.

Mit gefälschten Papieren gelang es einem Reporter der Sun erst am Mittwoch, samt Bombenattrappe im Mietwagen ganz in die Nähe der königlichen Gemächer zu fahren. "Es war kinderleicht, wir hätten die Queen töten können!", ätzte sein Blatt. Die böseste Schlagzeile von allen ließ sich, schon vor Wochen, der Daily Star einfallen: "Zwei alte Deppen heiraten".

Wie der Perlenkönig das findet? "In den Müll würd' ich das werfen. Was wissen die denn schon über diese beiden Menschen?"

"Ehe zerstört"

Am Ort des Geschehens, in der High Street zu Windsor, wo das säulenbewehrte Rathaus zwischen einem Kaufhaus, einer Kneipe und einem Souvenirladen eingezwängt ist, dort, wo sich die Standesbeamtin Clair Williams auf ihre Rolle vorbereitet, sieht das bei weitem nicht jeder so milde.

"Er hat seine Frau auf dem Gewissen, sie hat seine Ehe zerstört", schimpft Norman Devine, Besitzer eines Imbisslokals, und meint C & C, wie er das Paar nennt. Man gebe ihm ein rohes Ei, lasse ihn nah genug an den Prinzen heran, er würde es werfen.

Dass der Thronfolger genau an dem Tag, an dem er eigentlich heiraten wollte, nach Rom zum Begräbnis des Papstes reist, entbehrt nicht einer gewissen Ironie, so traurig der Anlass auch ist. Schließlich war es ein englischer König, Heinrich VIII., der sich von Rom lossagte und seine eigene, die anglikanische Kirche gründete; nur weil ihm der Papst nicht gestatten wollte, sich von seiner Ehefrau (Katharina von Aragon) zu trennen und mit seiner Geliebten (Anne Boleyn) vor den Traualtar zu treten.

Charles selbst nimmt so einen Seitenhieb und die Terminverschiebung, falls ihn die Hofreporter richtig zitieren, mit leisem Sarkasmus: "Wenn ich in Rom einen Pfarrer finde, bleib' ich gleich da und lass' mich dort trauen."

Keine Protestwelle

Gewiss, der Tod von Lady Di hängt wie ein riesiger Schatten über dem Ganzen. Aber um eine große, gefühlsbetonte Protestwelle in Bewegung zu setzen, dazu ist seit ihrem schrecklichen Unfalltod doch schon zu viel Zeit vergangen.

Gleichgültigkeit? Resignation? Eines will Perlenkönig Harry klarstellen: "Ich habe Diana immer bewundert, sie war eine Rebellin, ich mochte sie sehr".

Sobald der Name Camilla fällt, wird der lockere, witzige Pearly King merkwürdig einsilbig. Dennoch, meint er, Fairplay müsse sein, man müsse verzeihen können und vergessen: "Wer von uns kann schon von sich sagen, dass er nie Fehler macht? Wer von uns hat keine Schwächen?" (Frank Herrmann, DER STANDARD - Printausgabe, 8. April 2005)