Kosky, der Theater am liebsten als Musik träumt, hebt seine Sache weit über den Text hinaus (Kafka kommt wörtlich praktisch gar nicht vor); er verschiebt Rede wie Szene auf eine Metaebene, in der das "Blaubart"-Libretto von Béla Balász, ein kabbalistisches Märchen aus dem 18. Jahrhundert (Rabbi Nahman von Bratzlaw) und ein jiddisches Gedicht (H. Leivick) nur mehr von weit unten winken. Unten?
Unten: Ein großer brauner Flauschteppich (Erde) verdeckt unter sich die Leichen und Wiedergänger der Geschichte (Blaubarts) oder aus Kafkas Träumen. Aus seinem Schlitz (was für Auftritte!) guckt zunächst nur der mit glühenden Augen besetzte und die rot funkelnden Zähne fletschende monströse Medusenkopf des Königs Blaubart (auf schauderhaft schöne Art dargestellt von Melita Jurisic).
"Ich möchte den Geschmack des Schlafes schmecken", röchelt sie in gebrochenem Deutsch langsam aus. Aus unsichtbaren Schlitzen dringen allmählich Leichenhände nach oben und "winken" in Zeitlupe in dieser dunklen, gruftigen Atmosphäre (Bühne und Licht stammen von Michael Zerz) dem Schädel zu. "Wo sind hier die Fenster?", fragt Blaubarts Braut (Yehuda Almagor), deren Kopf entlang eines mittigen Schlitzes mit gespenstischer Wirkung auf jenen Blaubarts zugeht. Im gefräßigen Kuss (Kafka!) nimmt sie Blaubart, und sie geht unter.
Schlüsselrüstung
Triumph und Trotz des Untergangs münden in Musik, in jüdischen Vaudeville der Lower East Side, am Kontrabass, den der Theaterhimmel schickt. Kosky, der Abend für Abend selbst am Klavier sitzt, führt sein geniales Ensemble (Hiroyo Masumura, Jörg Ulrich Krah, Helmut Sprenger und Ruei-Ran Wu) auch durch Mahlers Lied von der Erde; Jurisic singt - ihrem balkanischen Timbre zuträglich - auch sephardische Ladino-Weisen. Höhepunkt dieses musiktheatralischen Totentanzes ist der letzte dem Symbolgehalt des Abends geschuldete Auftritt von König Blaubart im Ganzkörperkostüm einer Schlüsselrüstung (von Alfred Mayrhofer)!