Foto: Regine Hendrich
derStandard.at: Bedeutet die Nominierung Jalal Talabanis zum Präsidenten eine Stärkung der kurdischen Bevölkerungsgruppe?

Sedeek: Eine Stärkung der kurdischen Bevölkerungsgruppe hat es in den letzten 13 Jahren in den Autonomiegebieten in großem Ausmaß bereits gegeben. Und zwar sowohl eine innere als auch eine äußere Stärkung. Die innere Stärkung hat zu einem kurdischen Regionalparlament, einer funktionierenden Administration, einer relativen politischen und wirtschaftlichen Stabilität sowie einem aufstrebenden kurdisch-nationalen Sendungsbewusstsein geführt.

Sie zeigt sich aber auch inner-irakisch. Ohne kurdische Mediation während der letzen 12 Monate zwischen allen politischen Gruppierungen innerhalb des Iraks würde jetzt weder ein irakisches Parlament seine Arbeit aufnehmen können noch ein Konsens für die neue Regierung gefunden werden.

Ob nun Talabanis Wahl zum Präsidenten irgendetwas an der inneren Stärkung der kurdischen Bevölkerungsgruppe inner-irakisch bewirkt, kann ich hier nicht vorhersagen. Begrüßenswert wäre eine positive Sensibilisierung der arabischen Bewohner des neuen irakischen Staatengebildes gegenüber ihren kurdischen Mitbewohnern durch die Wahl Talabanis.

Aber Talabani ist auch eine gute Wahl für alle Iraker, denn von ihm kann man erwarten, dass er eine Konsenspolitik vertreten wird und nicht den Konfrontationskurs mit anderen politischen Gruppierungen sucht. Innerkurdisch bedeutet Talabanis Wahl natürlich einen großen Schritt in Richtung mehr Freiheit, Stärkung des Selbstbewusstsein und vielleicht auch Sicherheit.

Auf jeden Fall bedeutet es eine Stärkung der kurdischen Einheit als politische Macht innerhalb des Iraks. Denn mit Talabanis Wahl zum irakischen Präsidenten wird gleichzeitig eine neue regionale Regierung in der Kurdistan Region etabliert, welche die parteipolitischen Zwistigkeiten zwischen Talabanis PUK und Barzanis KDP aufhebt und die beiden Administrationen nun endgültig vereinigt.

Eine äußere Stärkung ist durch die Wahl eines Kurden zum irakischen Präsidenten zweifelsohne garantiert. Nach der Wahl des Kurden Zibaris zum irakischen Außenminister nun ein kurdischer Präsident des Irak. Wenn das die Akzeptanz der internationalen Staatengemeinschaft gegenüber den irakischen Kurden als eigene Nation und als fähige, moderne, demokratische politische Akteure nicht fördert oder stärkt.

derStandard.at: Wie schätzen Sie die weitere Entwicklung ein – ist mit einer verstärkten Autonomie der kurdischen Landesteile zu rechnen?

Sedeek: Mit verstärkter Autonomie kurdischer Landesteile meinen sie wahrscheinlich die weitere Einbindung kurdischer Dörfer, Städte und Regionen in die bestehende autonome Kurdistanregion. Denn eine stärkere Autonomie als die Kurden sie bis jetzt hatten, wird es wahrscheinlich auch in einem föderalen Irak nicht geben können.

Sie haben bereits einiges an Autonomie aufgegeben, um in einem neuen Irak mitzuwirken. Zur Einbindung weiterer Kurdengebiete in die Kurdistanregion sowie zur Klärung der Lage in und um Kirkuk kann zu dieser Zeit keine Prognose gemacht werden. Die kurdischen Parteien schlagen hierbei eine Volksabstimmung zur Klärung des Verbleibs dieser Regionen außerhalb oder innerhalb der kurdischen Administration vor.

derStandard.at: Erwarten Sie, dass der Nachbarstaat Türkei auf die Nominierung Talabanis reagieren wird?

Sedeek: Natürlich wird die türkische Regierung darauf reagieren und sie hat bereits Wochen zuvor auf die vorgeschlagene Wahl Talabanis als Präsidenten reagiert. Aber genauso wird Iran, die Schweiz, Brasilien und vielleicht sogar Lichtenstein darauf reagieren. Wenn sie mich fragen, was ich glaube, wie die Türkei darauf reagiert, bin ich leider der falsche Ansprechpartner. Ich hoffe aber, dass sie sich freuen werden, dass der Irak nun endlich einen neuen Präsidenten hat.

derStandard.at: Sie haben im derStandard.at-Interview vor zwei Jahren die Hoffnung geäußert, dass "eine föderale Demokratie aufgebaut wird, die innere Stärke beweist, indem sie durch alle Volksgruppen proportional zu ihrer Zahl vertreten ist und eine starke Dezentralisierung mit einer pluralistisch repräsentativen Führung verbindet." Entsprechen die bisherigen Entwicklungen Ihren Erwartungen?

Sedeek: Es sieht doch gut aus, bis jetzt. Die Richtung passt und die Geschwindigkeit ist, die äußerst schwierigen Rahmenbedingungen berücksichtigend, zufrieden stellend. Und ehrlich gesagt, hatte ich es damals nicht gewagt zu erwarten, sondern habe lediglich gehofft.

Und ja, die Entwicklungen entsprechen meinen damaligen Hoffnungen. Aber es wird noch viel komplexer und spannungsreicher nachdem nun erstmal ein demokratischer, politischer Rahmen getischlert wurde. Dieser muss einmal durchs Parlament durchgedrückt werden (was schon so gut wie ausgemacht ist) und sich dann mit den enormen Herausforderungen und unterschiedlichen Vorstellungen und Wünschen der verschiedenen politischen Parteien innerhalb und außerhalb der Regierung beschäftigen. Alles ist möglich und ich bin guter Dinge, was die Zukunft der Kurdistan Region anbelangt und voller Hoffnung was den Irak betrifft, sowohl einzeln als auch im Verbund. (bed)