In regelmäßigen Abständen erfährt die Öffentlichkeit von den neuesten Fortschritten in Sachen Wissenschaftlichkeit und Wirkung der Homöopathie. "Sie hilft", erklärte etwa der Stern vor einiger Zeit kategorisch. "Nun ist es amtlich", ließ der Zentralverein homöopathischer Ärzte wissen. In Summe kann man immer wieder lesen: "Endlich bewiesen."

Daran stimmt höchstens, dass die meisten Beweise endlicher Natur sind. Allerdings auch die gegenteiligen, die die Nicht-Wissenschaftlichkeit der bei uns populärsten Form von alternativer Medizin ebenso "endgültig" belegen sollen. Gerade wenn beide Seiten in einem Streit solche Zuversicht verbreiten, ist besondere Vorsicht geboten. Noch dazu, wenn es sich um ein Thema handelt, das den Menschen manchmal wörtlich an die Nieren geht, an Haut, Kopf, Rücken und überall hin, wo etwas wehtut, das geheilt werden will. Was hilft da? Was heißt "wissenschaftlich bewiesen"? Dass etwas besser hilft als etwas anderes?

Samuel Hahnemann hat Ende des 18. Jahrhunderts mit zwei Paradoxa die Homöopathie eingeführt: mit der Idee, dass ein Gesundheitsproblem durch ihm Verwandtes gelöst werden möge; und mit dem Zusatz, dass, je verdünnter, desto potenter.

Das Erstere dürfte den modern naturwissenschaftlich denkenden Menschen nicht mehr sonderlich aufregen - er braucht nur an die Wirkung von Impfstoffen zu denken. Die Idee der Verdünnung hingegen ist ihm ein rotes Tuch. Zwar kommt es bekanntlich, seit Paracelsus, auf die Dosis an, aber wenn nach dutzendfachem Verdünnen rein rechnerisch nur mehr ein aufgelöstes Aspirin im Pazifik schwimmt bzw. in den Tropfen auf dem Löffel kein einziges Molekül mehr zu erwarten ist, dann hört sich für ihn der Spaß auf.

Es habe sich, sagen die Homöopathen darauf, die physikalische Information in der Lösung gespeichert; diese habe ein "Gedächtnis" für sie, und der Organismus könne sie erkennen. Das sei Unsinn, kontern die Schulmediziner; würde man solche unwissenschaftlichen Dinge anerkennen, dann, in den Worten des Internisten Johannes Köbberling, "degeneriert automatisch das Denken".

Nun fragt man sich, ob alles, was nicht mit herkömmlicher Logik erfassbar ist, gleich ignoriert werden kann. Versteht ein "normaler" Mensch, was die Quantenphysiker für gegeben halten und was weit krauser klingt als "Globuli" und "Dünnsafterln"? Damit sollen nicht modernste Naturwissenschaft und Alternativmedizin aus prä-bakteriellen Zeiten gleichgestellt werden. Doch immerhin muss offen gelassen werden, ob es nicht für unerklärliche Phänomene eines Tages Erklärungen geben kann.

Hahnemanns Anhänger sind bemüht, sie heute schon zu liefern. So machte vor Jahren eine Forschungsarbeit die Runde, die mit Hilfe der Thermolumineszenz-Methode nachwies, dass Wasser sich Bestrahlung "merken" kann. Ähnliche Untersuchungen erbrachten allerdings ein negatives Ergebnis. Wieder waren Erfolgs- und Misserfolgsmeldungen euphorisch.

Was immer auf der mikrophysikalischen Ebene abläuft, wirklich interessiert Ärzte und das Publikum, wie die Homöopathie im Vergleich mit herkömmlichen Behandlungsmethoden abschneidet. Seit Jahrzehnten sollen Vergleichsstudien und Metaanalysen (Vergleiche über alle Studien) darauf eine Antwort geben.

Aber eine Antwort gibt es nicht. Wenn man sich auch auf bestimmte, von Homöopathen bevorzugte Leiden wie Heuschnupfen, Kopf- und Rückenschmerzen und Hautallergien beschränkt, geht der Streit schon im Vorfeld los. Bei vergleichenden Doppelblinduntersuchungen (weder Behandelnder noch Behandelter wissen, ob herkömmliche, alternative oder gar keine (d.h. Placebo) Medizin verabreicht wird) werde die Methode des genauen Dialogs ignoriert - für die Homöopathen wichtig, für die Schulmediziner ein Störfaktor, ein "Kunstfehler", der nur Placebo-Effekte vernebelt.

Womit man am Kern der unbefriedigenden Situation wäre: Je mehr man von den konkreten Umständen einer Lebenssituation absieht, je verallgemeinerbar man Resultate machen will - 1800 Patienten, drei Methoden im Vergleich, basta -, desto weniger kann auf vielfältige und komplexe Interaktionen Rücksicht genommen werden. Man erhält unter Umständen einen statistisch signifikanten Unterschied, der über die individuelle Wirksamkeit einer bestimmten Strategie nichts mehr aussagt.

Die gesundheitspolitischen Stellen wollen die Zahlen dennoch, weil sie sie als Unterlagen für die Entscheidung brauchen, ob Homöopathie und anderen alternative Methoden bei den Kassen zugelassen werden sollen. Daran hängt das finanzielle Wohl oder Wehe unzähliger Leidender, die nicht verstehen, warum sie für eine als erfolgreich erlebte Therapie auf einmal zahlen sollen (bzw. umgekehrt nicht verstehen, warum sie Scharlatanerie mit ihren Beiträgen mitfinanzieren sollen, wo sie doch schulmedizinisch gut versorgt sind). Daran hängen Pharma-Interessen auf beiden Seiten - wenn auch ungleich verteilt: Die Karlsruher Deutsche Homöopathie-Union (DHU), größter Produzent in unseren Breitengraden, ist ein Zwutschgerl im Vergleich zu den "normalen" Konzernen.

Das wirkliche Problem aber ist, dass die genannten Stellen zuverlässige Zahlen sowieso nicht bekommen. Je nach Sachlage der Untersuchungen, egal wie groß, egal wie gut abgesichert, peer-reviewed und in den besten Fachzeitschriften veröffentlicht, kippt die Balance mal in Richtung Homöopathie, mal gegen sie.

Der Patient bleibt vor individuelle, finanzielle und sozusagen ideologische Entscheidungen gestellt. Die Wissenschafter sind unter diesen Umständen am ehesten die Nutznießer. Sie können unter alle Ergebnisse die Zauberformel setzen: "Weitere Untersuchungen sind notwendig." (Michael Freund/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 2. 4./3. 4. 2005)