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Das undatierte Archivbild zeigt die Albertina (links) und den ausgebombten Philipp-Hof (rechts), jetzt Standort des Mahnmales gegen Krieg und Faschismus.

Foto: APA/Österr. Nationalbibliothek

Wien – Die letzte Entscheidung für den Kampf um Wien fiel am 2. April 1945. Adolf Hitler dachte nicht daran, die Stadt, die er sieben Jahre zuvor als "Perle" bezeichnet hatte, der er die "richtige Umfassung" geben wolle, kampflos der Roten Armee zu überlassen. Die "zweite Reichshauptstadt" wurde zum "Verteidigungsbereich" erklärt: Der Kampf sollte bis zur letzten Konsequenz geführt werden – auch wenn die Rote Armee seit ihrem Einmarsch aus Ungarn unaufhaltsam auf Wien zuströmte.

Die Schlüsselrolle im Abwehrkampf sollten die Reste der bereits in Ungarn stark dezimierten 6. Panzerarmee übernehmen. Ihren Kommandanten, Sepp Dietrich, pries Gauleiter Baldur von Schirach der Bevölkerung hymnisch als "Verteidiger von Wien" an. Dass es mit den Verteidigungskräften aber nicht mehr weit her war, war den Bewohnern der Stadt – demoralisiert durch ständige Luftangriffe seit 1944 – wohl längst klar geworden. Frauen und Kindern wurde nun auf Plakaten "empfohlen", das Stadtgebiet zu verlassen. Das Standrecht galt, der Volkssturm und die Hitler-Jugend hatten als letztes Aufgebot anzutreten.

Verlorener Kampf

Die 3. ukrainische Front der Roten Armee unter Marschall Tolbuchin hatte Ende März den Südostwall an der ungarischen Reichsgrenze geradezu überrannt. Durchgehende Schutzstellungen vor den Toren der Donaumetropole existierten bis auf einige Flakstellungen nicht, Wien war damit de facto verloren – das wusste auch der Kampfkommandant der deutschen Einheiten, General Rudolf von Bünau. Wider besseren Wissens und den Befehlen aus Berlin gehorchend, nahm er die Vorbereitungen für die Abwehrschlacht auf.

Doch auch die eilig herbeigeholte Führer-Grenadier-Division brachte keine wesentliche Verstärkung. Insgesamt standen den "Verteidigern" nur zwei kriegsstarke Divisionen zur Verfügung. Drei Abwehrlinien kamen in Frage: Am äußeren Stadtrand, am Gürtel und die letzte entlang des Rings und des Donaukanals.

Inzwischen hatte die 3. Ukrainische Front die Strategie für den Angriff festgelegt. Ihr Plan war, Wien von drei Seiten her einzunehmen. Während die 4. Garde-Armee den Osten und Südosten der Stadt ins Visier nahm, sollte die 9. Garde-Armee südlich stürmen. Die 6. Panzer-Garde-Armee sollte nach Westen ausgreifen und von dort einfallen ("Westumfassung"). Zusätzlich drängte die 2. Ukrainische Front von Bratislava kommend entlang der Donau vor.

An der Strategie der "Westumfassung" wurde auch im Stadtkern getüftelt. Im Wehrkreiskommando XVII am Stubenring hatte sich am 2. April der österreichische militärische Widerstand unter Führung von Major Carl Szokoll zum Handeln entschlossen. Szokoll sandte Oberfeldwebel Ferdinand Käs zur Front südlich von Wien, um den Kommandanten der Roten Armee diesen Plan vorzuschlagen und vom Stadtinneren her Hilfe anzubieten.

Gescheiterter Widerstand

Als Käs das sowjetische Kommando in Hochwolkersdorf am 4. April erreichte, war die Entscheidung für die "Westumfassung" schon gefallen. Vereinbart wurde noch, die Zivilbevölkerung möglichst zu schonen. Leuchtraketen sollten tags darauf den Beginn des aktiven Widerstandes im Stadtzentrum signalisieren. Doch dazu kam es nicht. Der Aufstandsplan ("Operation Radetzky") scheiterte an Verrat. Drei führende Mitglieder der Widerstandsgruppe – Karl Biedermann, Alfred Huth und Rudolf Raschke – wurden noch am 8. April am Floridsdorfer Spitz gehenkt.

Sturm auf Wien

Der eigentliche Sturm auf Wien begann am 5. April. Kanonendonner war bis in das Stadtzentrum zu hören, die Flaktürme in der Stiftskaserne und am Arenbergpark griffen erstmals in die Bodenkämpfe ein. Zwar fielen die Attacken zunächst insgesamt schwächer als erwartet aus, im Wesentlichen ging der Plan der Angreifer aber auf: Die Rote Armee erreichte den westlichen Stadtrand: Tullnerbach, Pressbaum und der Lainzer Tiergarten konnten kampflos besetzt werden. Das deutsche Kommando erfasste das ganze Ausmaß der Strategie erst spät, denn auch im Süden, vor allem bei Maria Enzersdorf, hatten sowjetische Panzer die Abwehrstellungen mit enormer Wucht angegriffen.

Der letzte Tag, an dem noch Straßenbahnen verkehrten, ging zu Ende; zur Überraschung der Wiener kam am Abend nach Tagen wieder Wasser aus den Leitungen. Die Rote Armee unterband die Wasserzufuhr nicht – dies hatte ihr Kommando dem Widerstand versprochen. Nach Einbruch der Dunkelheit gruppierte die Wehrmacht ihre Kräfte noch einmal um: "Den Ring entlang marschierten Infanterieeinheiten – der gedämpfte Lärm der eisenbeschlagenen Stiefel, das Klappern des Eisens der Waffen, das Knarren von Lederzeug wirkt absonderlich und unheimlich", notierte Josef Schöner nach einem abendlichen Streifzug in sein "Wiener Tagebuch" (Böhlau Verlag). "Man hört vereinzeltes Artilleriefeuer, ein unsichtbares Flugzeug zieht über die Stadt, ansonsten begegne ich niemanden mehr."

Straßenkampf

Am 6. April drang die 4. Gardearmee in die Wohngebiete von Simmering und Favoriten ein, der Straßenkampf hatte begonnen. Während die Rotarmisten in den äußeren Westbezirken kaum auf Gegenwehr stießen, entwickelten sich im Süden schwere Gefechte. Mit Hilfe von Nebelgranaten kämpften sich die Stoßtruppen Haus für Haus vor. SS-Männer und Wehrmachtssoldaten rissen zugleich Straßen auf und errichteten Barrikaden aus umgestürzten Straßenbahnwaggons und dem Schutt von Bombenruinen.

Manche dieser Stellungen wurden von Zivilisten, die heftige Kämpfe fürchteten, wieder abgerissen. Andere wiederum schütteten aus ihren Wohnungen heißes Wasser auf eindringende Rotarmisten oder versperrten ihnen den Zugang zu den Häusern. Die Fluchtwege aus der Stadt waren weitgehend abgeschnitten. Der Großteil der Bevölkerung verkroch sich in den Kellern, während die Flaktürme und die Artillerie vom Stadtpark, dem Rathausplatz und anderen offenen Flächen her unaufhörlich feuerten. Am 7. April wurde die Stromversorgung unterbrochen.

Kämpfe am Gürtel

Am Tag darauf erreichte die Rote Armee in voller Breite den Gürtel, wo Wehrmacht, SS und Volkssturm Eckhäuser zu Stellungen ausgebaut hatten. Die heftigen Kämpfe waren von kurzer Dauer. Inzwischen loderten in allen Wiener Bezirken Brände, doch die Feuerwehr war bereits evakuiert worden und es fehlte überall an Löschwasser. Funkenflug setzte den Stephansdom in Brand. Dennoch war es jemanden gelungen, an seiner Spitze – unerlaubt – die weiße Fahne der Kapitulation zu hissen.

Die unerhörte Episode wurde nach Berlin gemeldet und veranlasste Propagandaminister Goebbels zu einer Notiz: "Das haben wir von dem sogenannten Wiener Humor, der bei uns in Presse und Rundfunk sehr gegen meinen Willen verniedlicht worden ist. Der Führer hat die Wiener schon richtig erkannt. Sie stellen ein widerwärtiges Pack dar, aus einer Mischung zwischen Polen, Tschechen, Juden und Deutschen."

Vorsichtig bewegten sich die sowjetischen Stoßtruppen in die inneren Bezirke hinein. Haus für Haus wurde auf Hinterhalte und Heckenschützen kontrolliert. Auf vielen Gebäuden war die Aufschrift "Kwartal prowiereno" (Häuserblock überprüft) noch Jahre später zu lesen. Entlang der Zweierlinie brannten das Parlament und das Burgtheater, auch der Naschmarkt stand in Flammen.

Plünderungen

In den Geschäftsstraßen begannen Plünderungen – allerdings nicht nur durch sowjetische Soldaten. "Immer mehr Leute bevölkern die Straßen, seit sich die anfängliche Angst vieler Wiener gelegt hat", hielt Schöner am 10. April fest. "Die Menge ist losgelassen – man erzählt, dass schon seit vorgestern Lebensmittelläden besonders außerhalb des Gürtels organisiert und laufend geplündert werden. Also sind es nicht die Russen, sondern die lieben Wiener selbst! Sechs Jahre Verkaufsbeschränkung und Kartensystem werden jetzt auf einmal wettgemacht!"

Am selben Tag sprengte die Wehrmacht hinter sich alle Brücken über den Donaukanal und begann vom 2. und 20. Bezirk her die vorrückenden Sowjetverbände unter Beschuss zu nehmen. Der Stadtkern blieb durch den Abzug von einem Häuserkampf verschont. Wie der Historiker Manfried Rauchensteiner schreibt, gelang es den Sowjets mit Hilfe von Österreichern, die geplante Sprengung des Stephansdoms durch einen SS-Trupp zu verhindern.

Sprung über den Donaukanal

Den entscheidenden Sprung über den Donaukanal schaffte die sowjetische 4. Garde-Armee in der Nacht vom 11. auf den 12. April. Bereits zuvor waren die Stellungen der Wehrmacht durch heftigen Granatenbeschuss zurückgedrängt worden – die Einnahme der beiden Bezirke dauerte trotz vereinzelter erbitterter Gefechte nur mehr Stunden. Zeit genug für die SS, in der Leopoldstadt entdeckte Juden zu erschießen. Wie die befohlene Sprengung der Reichsbrücke über die Donau tatsächlich verhindert wurde, darum ranken sich bis heute verschiedenste Geschichten. Beteiligt an der Rettung waren auch einheimische Helfer der Roten Armee.

Befreites Wien

Am 13. April um 14 Uhr erklärten die Sowjets den Kampf für beendet. Wien war befreit und am Abend verstummte der Gefechtslärm endgültig. In Moskau wurde der Sieg tags darauf mit 24 Salutschüssen aus 324 Geschützen gefeiert. Die Sowjets zogen Bilanz: 19.000 Soldaten seien auf der Seite der Wehrmacht gefallen, 47.000 gefangen genommen worden, 18.000 Angehörige der Roten Armee hätten ihr Leben gelassen.

Der erste Nachkriegsbürgermeister von Wien, Theodor Körner, nannte am 22. Juni weit niedrigere Zahlen. Ihm zufolge waren insgesamt 5.000 Leichen zu beerdigen. Letztlich hatte Wien – verglichen mit anderen Großstädten wie Budapest und Warschau – den Zweiten Weltkrieg nach Ansicht von Historikern relativ glimpflich überstanden. Die jüdische Gemeinde der Stadt war jedoch beinahe ausgelöscht. Im März 1938 hatten mehr als 200.000 Juden in Wien gelebt, nur mehr 5.243 erlebten hier die Befreiung – daran hatte auch das Volk von Wien seinen Anteil gehabt. (APA)