Wer im Goldegger Ortsteil Weng bergwärts fährt, erkennt das Haus von weitem: Auf dem Dach des Holzbaus wachsen Bäume und Blumen, sogar Salat wird hier geerntet. Das Niedrigenergiehaus ist das Wohnhaus des Vorderploinergutes hoch am Berghang auf über 1000 Meter Seehöhe. Hier ist das Reich Ambros Aichhorns – Zoologe und katholischer Priester, den die Einheimischen respektvoll "Goaßen-" oder "Hummelpfarrer" nennen.

Den Archehof betreibt Aichhorn seit knapp 20 Jahren.
Foto: Mike Vogl

"Kommts nur", deutet Ambros seinem Besuch mit dem Haselstock Richtung Stall. Das Du kommt einem in der Pongauer Bergwelt ganz selbstverständlich über die Lippen. Der kleine, drahtige Mann mit dem vollen Haar und dem festen Schritt geht voran. Die 87 Jahre würde ihm kaum jemand glauben.

Über dem Stallgebäude rüttelt gerade ein Falke, er nistet im Giebel, wo ihm Ambros Aichhorn einen Horst gezimmert hat. Im Stall wird der Bauer bereits sehnsüchtig erwartet. Die kleine Herde von Pinzgauer Ziegen will auf die Weide. Die Pinzgauer Ziege ist eine der seltenen Haustierrassen, die Aichhorn auf seinem Archehof züchtet und damit vor dem Aussterben bewahrt. Daneben leben auf dem Hof noch Steinschafe und einige altsteirische Hühner. Auch dass das Tuxer Rind noch existiert, hat mit Aichhorns Züchtungen zu tun. Eine Urkunde des Tiroler Zuchtverbandes hängt im Wohnhaus.

Den Archehof betreibt Aichhorn seit knapp 20 Jahren. Verdienen kann er mit dem Projekt nichts, er steckt seine Lehrerpension in den Hof. Und ganz allein geht es auch nicht: Die Theologin Elisabeth Koder unterstützt ihn nach Kräften – vor allem, was die bürokratischen Aufgaben angeht.

Die wahre Passion des studierten Theologen und Biologen sind Hummeln.

Den Lehrerberuf hat Aichhorn drei Jahrzehnte lang am katholischen Borromäum in der Stadt Salzburg ausgeübt. In der Zeit als Biologielehrer entstand auch sein Schulbuchklassiker: Aichhorn/Seewald, Biologie heute war Anfang der 1990er ein Standardwerk für den Unterricht in der Unterstufe.

Die wahre Passion des studierten Theologen und Biologen sind aber Hummeln. Schon auf dem elterlichen Hof in Großarl habe er sich mit den pelzigen Brummern beschäftigt, erzählt er. Inzwischen ist Aichhorn weltweit gefragter Verhaltensforscher in Sachen Hummeln und Mitautor des Standardwerkes Hummeln – bestimmen, ansiedeln, vermehren, schützen.

Die Tricks der Kuckuckshummel

Jetzt, da mit dem Bienensterben das Bestäuben von Pflanzen mehr und mehr zum Thema wird, ist die Hummelforschung gefragter denn je. Um den Vorderploiner-Hof sind zahllose Kästchen für die Insekten aufgebaut. Hier nisten die Tierchen und lassen sich von Aichhorn in Ruhe beobachten. Wenn er einen Nistkasten öffnet und mit den Fingern in das Nest greift, bleiben die Tiere ruhig. "Sie erkennen mich am Geruch", sagt Ambros und lächelt seinen Schützlingen zu.

Auch Alpenziegen leben auf dem Archehof Vorderploin.
Foto: Mike Vogl

In der Stube des Wohnhauses surrt es ebenfalls. Hier hat der Hummelpfarrer eine verletzte Kuckuckshummel in einem Plexiglaswürfel zur Genesung und natürlich auch zur Beforschung untergebracht. Seine Notizen darüber, wie die parasitär lebende Kuckuckshummel (Psithyrus) ein fremdes Genist erobert, sind bestechend genau: "Es dauert nicht lange, guckt da oder dort eine Arbeiterin aus dem Genist, sieht die Psithyrus und vergräbt sich wieder. Arbeiterinnen und Königin müssen zurück! Hier sind sie zu Hause, ihre Brut muss gepflegt werden. Niedergeduckt, den Kopf am Boden schreiten sie der Psithyrus entgegen und versuchen, unter sie hinein zu kriechen. Diese Demutshaltung ist ein Schlüsselreiz für die Psithyrus, friedlich zu sein."

Ähnlich detailliert sind seine Forschungsarbeiten über diverse Vogelarten – allen voran über Schneefinken sowie über die Alpen- und Heckenbraunellen. Das Priesteramt hingegen übt Aichhorn nur sporadisch aus. "Ab und zu werde ich zu einer Hochzeit gebeten oder halte eine Bergmesse."

Dem langjährigen ehemaligen Umweltreferenten der Erzdiözese wird vom Bischof nichts vorgeschrieben. Das war auch vor fünf Jahren so, als Aichhorn anlässlich des 70. Jahrestags des SS-Sturms auf die Verstecke der Goldegger Deserteure das liturgische Gedenken leitete. Der Ortspfarrer von Goldegg hatte zuvor mit Rücksicht auf die negative Stimmung im Ort eine Andacht für die Widerstandskämpfer abgelehnt. Als rebellischen Akt hat Aichhorn das damals freilich nicht betrachtet, vielmehr als "ganz normale Andacht für Verstorbene", wie er sagt. Für die immer noch ablehnende Haltung gegenüber Deserteuren hat er aber kein Verständnis. "Wie kann man nur so verstockt sein?", meint er zur Stimmung in Goldegg

Und wie verträgt sich sein Glauben mit naturwissenschaftlichen Forschungen? Für Aichhorn ist das kein Widerspruch. Naturwissenschaft sei nicht säkular, es gehe um die Schöpfung als Ganzes, die im Makro- wie im Mikrokosmos jede Vorstellungskraft übersteige. In dieser Schöpfung liege auch sein Gottesbild, sagt er. Erst recht habe er mit der Evolutionstheorie kein Problem, betont er und erzählt von Reisen auf die Galapagosinseln und nach Afrika, wo er bei den Fundstellen des Homo habilis und des Homo robustus war.

Grizzlys, Rinder, Erstbesteigung

Auch bei den Grizzlys in Alaska ist Aichhorn unterwegs gewesen, den Kilimandscharo hat er bestiegen, in Ecuador hat er sich auf die Spuren einer alten Rinderrasse begeben, und in Afghanistan ist er einst als Erster auf zwei Siebentausendern gestanden.

Shingeik Zom II und III heißen die 7170 und 7150 Meter hohen Gipfel, die Aichhorn gemeinsam mit seinem Bruder Toni im Rahmen der österreichischen Hindukusch-Expedition 1969 erstbestiegen hat. Es war ein alpinistischer Grenzgang, wie der Salzburger Bergsteiger Wolfgang Axt in seinem Expeditionsbericht notiert: "Eine großartige Leistung, wenn man bedenkt, dass ohne Zelte und Schlafsäcke gearbeitet wurde."

Noch während Ambros Aichhorn von seinen Reisen erzählt, heißt es unvermittelt aufbrechen. "Die Ziegen sind wieder ausgebrochen. Für diese Biester gibt es keinen sicheren Zaun", schimpft er. Der Tonfall bleibt freundlich. Lange wird er seinen Ziegen nicht gram sein. (Thomas Neuhold, 29.6.2019)