Die Erde ist wie ein Körper, und die Bodenschätze sind seine Venen", sagt Bileg, ein buddhistischer Mönch. "Werden diese Venen aufgerissen, verletzt man die Erde." Die über das Land herrschenden Geister könnten darauf mit Naturkatastrophen antworten. Obwohl diese Angst immer präsent ist, asphaltiert der junge Mann Straßen, die zur größten Kupfermine im Süden der Mongolei führen. Er tut es, weil Frau und Kinder ernährt werden müssen und in dieser Region die Spenden der Menschen nicht zum Überleben reichen. Um die Geister zu besänftigen, singt er bei seiner Arbeit buddhistische Mantras. Auch andere Straßen- und Minenarbeiter bitten ihn zu rezitieren.

Die an Bodenschätzen reiche Region in der Wüste Gobi im Süden der Mongolei ist Teil von Chinas Megaprojekt "Neue Seidenstraße". Offiziell spricht man in China von einem "länder- und völkerverbindenden" Infrastrukturprogramm, Kritiker sehen darin eher einen Welteroberungsplan, mit dem China wirtschaftlich und politisch zur ersten Supermacht aufsteigen will. Welche Auswirkungen aber hat dieses bereits mehr als 120 Länder umfassende Riesenprojekt auf lokaler Ebene? Und was hat es überhaupt mit dem schillernden Begriff "Seidenstraße" auf sich? "Tatsächlich gab es nie nur eine einzige Seidenstraße", erklärt Maria-Katharina Lang vom Institut für Sozialanthropologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). "Tatsächlich handelt es sich um ein Netz von Handelswegen, das sich schon vor Jahrhunderten dynamisch entwickelt hat und das sich noch immer verändert."

Ein Kamel in der Mongolei, eine Straße: Forscher untersuchen, wie sich die "Neue Seidenstraße" auf das Leben der Menschen vor Ort auswirkt.
Foto: Foto: Maria-Katharina Lang

Nicht nur Seide

Außerdem sei es nie nur Seide gewesen, die man auf diesen Wegen gehandelt und transportiert habe. Auch Tee, Gewürze, Pferde, Kunstgegenstände, Ideen, Wissen und Religionen haben sich über diese Routen verbreitet. Um die aktuellen wirtschaftlich-politisch geprägten Diskussionen über die Seidenstraße in einen breiteren Rahmen zu setzen, wird unter Langs Leitung in Kooperation mit dem Weltmuseum Wien und mongolischen Universitäten ein ganz besonderes Projekt durchgeführt. Forscher und Künstler aus Asien und Europa betreiben dazu Feldforschungen entlang alter und neuer Steppen- und Seidenstraßen unter anderem in der Mongolei, dokumentieren durch dieses verzweigte Wegenetz miteinander verbundene Erzählungen und Traditionen, erkunden Biografien, künstlerische Überlieferungen, kulturelle Monumente und Erinnerungen. Man hat in dieses vom Wissenschaftsfonds FWF geförderten PEEK-Projekt Künstler aus der Mongolei sowie der Inneren Mongolei eingebunden, berichtet Maria-Katharina Lang. "Deren Arbeiten werden zusammen mit unseren kultur- und sozialanthropologischen, künstlerischen, archäologischen und musikethnologischen Forschungsergebnissen sowie den vorhandenen Museumssammlungen 2020 im Museum am Rothenbaum in Hamburg und 2021 im Weltmuseum Wien in Ausstellungen zu sehen sein."

Mit ihren unterschiedlichen Herangehensweisen sollen diese Dokumente einen tieferen Blick auf das vielschichtige Phänomen Seidenstraße ermöglichen. "Die Kunstprojekte umfassen Foto-, Video- und Filmarbeiten, Texte und Zeichnungen", so die Forscherin. "Museumsartefakte fungieren als Ausgangspunkte oder Bindeglieder für diese unterschiedlichen Erzählformen."

Die bisherigen Feldforschungen haben das Projektteam nicht nur zu den großen Bergbaugebieten im Süden der Mongolei geführt, sondern auch in den an Russland grenzenden Norden des Landes. "In dieser Region namens Selenge wurde ein Bahn- und Straßenprojekt realisiert, durch das lokal abgebaute Eisenerz direkt nach China gebracht werden kann", berichtet Lang. "Wir haben mit den Menschen vor Ort Interviews geführt, wie sich diese Veränderung auf ihr Leben auswirkt." Für die nomadisierenden Viehzüchter bringen die neuen Verkehrswege vor allem in Hinblick auf ihre Tiere Probleme.

Da durch Straßen und Bahn die natürlichen Weidegebiete der Rinder, Pferde, Schafe und Ziegen zerschnitten werden, können diese nicht mehr ihren gewohnten Routen folgen und verletzen sich immer wieder an den Stacheldrahtzäunen. Außerdem werden Waldflächen abgeholzt. Durch die massiven Eingriffe in die Landschaft sind viele sakrale Orte für die Menschen nicht mehr zugänglich. "In der Nähe der Eisenerzmine gibt es etwa einen Magnetstein, an dem die Bevölkerung Opfer für die Geister in der Natur dargebracht hat, um so das kosmische Gleichgewicht zu erhalten", erzählt Maria-Katharina Lang. "Heute liegt dieser heilige Stein in einem Sperrgebiet."

Arbeitsplätze entstehen

Dennoch reagieren die Menschen nicht nur negativ auf die Veränderungen ihres Lebensraums, da durch die Berg- und Straßenbauaktivitäten viele Arbeitsplätze entstehen. Auch die Anbindung der sehr abgelegenen Region durch Bahn und Straßen sei willkommen. Gleichzeitig kam es wegen der verletzten Tiere und des Verlusts heiliger Orte zu Protestaktionen.

"In Gesprächen mit der lokalen Bevölkerung haben wir oft gehört, dass 'die Geister wütend sind' über die Eingriffe in die Natur", berichtet die Forscherin. "Natürlich sehe auch ich zuallererst die Zerstörung, aber im Gespräch mit den Leuten bekommt man ein differenzierteres Bild, das wir letztlich in eine vielschichtige Erzählung umsetzen wollen." Eingebettet in diese Erfahrungen sollen auch historische, teilweise problematische ethnografische Sammlungen auf neue Weise präsentiert werden. "Daraus wird keine chronologische Geschichte entstehen, sondern eine Erzählung in Schichten, die Fragmente aus verschiedenen Zeiten miteinander verbindet." Ein solches Fragment können zum Beispiel Teeziegel sein, die in großen Mengen auf den historischen Steppen- und Seidenstraßen mit Kamel-Karawanen von China bis Russland durch die Mongolei transportiert wurden.

Und weil diese Karawanen auch an jenen Orten vorbeikamen, die heute durch Bergbau und neue Verkehrsnetze geprägt sind, verbinden sich in diesem Projekt mit dem sprechenden Titel "Dispersed and Connected" ihre Geschichten. "Wir wollen kein Archiv des fast Verlorenen schaffen", betont Lang, "sondern Veränderungsprozesse möglichst differenziert dokumentieren." (Doris Griesser, 30. 6. 2019)