Der deutsche Generalbundesanwalt Peter Frank und Innenminister Horst Seehofer versicherten am Mittwoch, dass die Suche nach möglichen Hintermännern – auch nach dem Geständnis des in U-Haft sitzenden Stephan E. – weitergeht.

Foto: AFP / Monika Skolimowska

Tagelang hatte Stephan E., ein 45-Jähriger aus Kassel, in U-Haft geschwiegen. Dann jedoch legte er ein Geständnis ab: Er allein habe am 2. Juni den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU) auf der Terrasse von dessen Privathaus erschossen. Andere seien nicht beteiligt gewesen.

E. erklärte auch die Motive für seine Tat: Lübcke sei eine "Reizfigur" gewesen. So berichtete es der Generalbundesanwalt Peter Frank am Mittwoch im Innenausschuss des deutschen Bundestags. Offenbar bezog sich E. auf eine Bürgerversammlung, die im Oktober 2015 im hessischen Lohfelden stattgefunden hatte. Es ging damals um Informationen über eine Flüchtlingsunterkunft.

Lübcke sprach damals, die Stimmung war aufgeheizt, es gab immer wieder Zwischenrufe, bis der Regierungspräsident schließlich den Kritikern erklärte: "Da muss man für Werte eintreten. Und wer diese Werte nicht vertritt, der kann jederzeit dieses Land verlassen, wenn er nicht einverstanden ist. Das ist die Freiheit eines jeden Deutschen."

"Arbeit fängt jetzt erst richtig an"

E. soll bei dieser Versammlung dabei gewesen sein. Lübckes Aussage wurde jedoch auch in den sozialen Medien geteilt. Im Februar 2019 verlinkte es die ehemalige CDU-Abgeordnete Erika Steinbach, die heute für eine AfD-nahe Stiftung arbeitet, noch einmal.

Trotz des Geständnisses ist der Fall für die Ermittler noch lange nicht aufgeklärt. "Das ist mitnichten das Ende der Ermittlungen. Die Arbeit fängt jetzt erst richtig an", sagte Thomas Beck von der Generalbundesanwaltschaft im Innenausschuss des hessischen Landtags. Es gibt zwar ein Geständnis, aber die Tatwaffe wurde bisher nicht gefunden.

Auch in Berlin betonten Generalbundesanwalt Frank, und der deutsche Innenminister Horst Seehofer (CSU), dass man prüfe, ob es weitere Tatbeteiligte gibt oder ob E. mit seinem rechtsextremen Hintergrund Teil einer Gruppierung war.

NSU mordete in Kassel

Dabei geht es auch um die Frage, ob der zweifache Familienvater E. Kontakte zum "Nationalsozialistischen Untergrund" (NSU) hatte. Die Terrorgruppe ermordete zwischen 2000 und 2007 neun Männer mit Migrationshintergrund und eine Polizistin. Ein Opfer, Halit Yozgat, wurde in seinem Kasseler Internetcafé getötet.

Stephan E. war jahrelang in der nordhessischen Neonazi-Szene aktiv. 1992 stach er in Wiesbaden einen Ausländer nieder, ein Jahr später griff er mit einer Rohrbombe eine Asylbewerberunterkunft im hessischen Hohenstein-Steckenroth an. Er hatte Kontakt zu Neonazis aus der militanten "Combat 18"-Gruppe. Zunächst berichtete das ARD-Magazin Monitor, E. habe noch im März 2019 an einem Treffen teilgenommen, und stützte sich dabei auf einen Gutachter, der sich auf Fotos berief. Als Zweifel aufkamen, zog Monitor seine Aussage zurück.

Ab 2009 trat E. jedoch nicht mehr strafrechtlich in Erscheinung, weshalb ihn die Ermittler nicht mehr im Blick hatten. Grundsätzlich registriert der deutsche Verfassungsschutz jedoch eine Zunahme rechter Gewalt. Offiziell wird der neueste Bericht am Donnerstag vorgestellt. Die Bild am Sonntag hatte bereits vorab berichtet, dass die Behörde in ihrem Bericht 24.100 Menschen als rechtsextrem einstuft.

Viele Gewaltbereite

Im Jahr 2017 waren es noch 24.000 gewesen. Fast jeder zweite Rechtsextreme werde vom Verfassungsschutz als "gewaltorientiert" bezeichnet. Die Zahl der "gewaltorientierten" Linksextremen liegt dem Verfassungsschutz zufolge bei 9.000. Auch die Zahl der rechtsextremen Gewalttaten ist leicht gestiegen.

Der Fall Lübcke beschäftigte am Mittwoch auch den Bundestag. Kanzlerin Angela Merkel, die von den Abgeordneten befragt wurde, sagte: "Der Kampf gegen Rechtsextremismus erfordert eine klare Absetzung vom Rechtsextremismus." Man konnte dies als Mahnung an die AfD verstehen. Erst diese Woche hatte die CDU-Spitze bekräftigt, dass es in ihrer Partei keinerlei Zusammenarbeit mit der AfD geben solle.

Im bayerischen Landtag erinnerte am Mittwoch Landtagspräsidentin Ilse Aigner (CSU) mit einer Rede an den ermordeten Lübcke. Während sich die Abgeordneten erhoben, blieb in der ersten Reihe der AfD-Mann Ralph Müller sitzen. Er erklärte später, er sei bloß ein paar Sekunden auf dem Sessel geblieben, weil er etwas gelesen habe. Es waren aber mehr als zwei Minuten. (Birgit Baumann aus Berlin, 26.6.2019)