Wien – Es ist nicht alltäglich, dass Angeklagte vor Gericht bei Zeugen Verständnis ernten. Im Fall von Aran D. und Sofia B. ist das aber so. "Sie ist jung, sie will ihrem Freund helfen. Ich habe selbst eine Tochter, ich versteh das", verrät einer der Ladendetektive des Modehauses Peek & Cloppenburg, die das junge Paar nach einem Ladendiebstahl erwischt haben, Richter Norbert Gerstberger. Dieser muss sich nicht nur wegen gestohlener Kleidung im Wert von 75,98 Euro mit dem 18- und der 17-Jährigen beschäftigen, sondern auch wegen Verletzungen, die zwei der Detektive bei dem Vorfall erlitten haben.

Zu Prozessbeginn um 9 Uhr sitzt nur die 17-Jährige auf der Anklagebank. "Er hat mir vor einer Woche in der Schule gesagt, er wird kommen", antwortet B. auf Gerstbergers Frage, wo ihr Mitangeklagter sei. Das Versprechen erfüllt D., allerdings erst um 9.46 Uhr und nach einem Anruf Gerstbergers, der den Teenager auf dem Weg ins Gericht erwischt. "Mein Wecker hat gar nicht geläutet", lautet D.s Entschuldigung für die Verspätung.

Mit mehreren Kleidungsstücken in Kabine

Zunächst hat also B. die Möglichkeit, ihre Version der Geschichte vom 20. April zu erzählen. "Wir wollten shoppen gehen, Aran hat gesagt, er hat seinen Lohn bekommen", beginnt sie. Das Modehaus sei der letzte Stopp der Freizeitgestaltung gewesen, D. habe mehrere Hosen und T-Shirts mit in die Umkleidekabine genommen.

"Ich habe davor gewartet, einmal hat er mich hineingebeten und um meine Meinung zu einer Hose gefragt", behauptet die Schülerin. Irgendwann sei er wiedergekommen, habe einige Kleidungsstücke zurückgelegt, dann seien sie gegangen. "Da muss Ihnen ja aufgefallen sein, dass er nicht gezahlt hat", ist der Richter misstrauisch. "Ich habe nicht wirklich darauf geachtet, ob er was in das Einkaufssackerl gepackt hat, und habe mich mit dem Handy beschäftigt", rechtfertigt sich die Zweitangeklagte.

Als man das Geschäft verlassen hatte und bereits wieder auf der Mariahilfer Straße war, seien plötzlich zwei Männer gekommen, hätten sich als Privatdetektive zu erkennen gegeben und sie aufgefordert mitzukommen. "Ich denke, ich habe ein bisschen überreagiert", gesteht B. zunächst ein. Denn ihr Begleiter versuchte erfolglos zu entkommen, auch sie mischte sich ein.

Angebliche Beschimpfung auf Arabisch

Vor dem Büro der Ladendetektive sei sie dann von einem Arabisch sprechenden Mitarbeiter beschimpft worden, erinnert sich die in Wien geborene Tunesierin. Die Situation eskalierte, ein anderer Detektiv habe ihr eine Ohrfeige gegeben. "Da habe ich ihm auch eine Ohrfeige gegeben."

Der erste Zeuge, der verständnisvolle Detektiv, schildert die Sache etwas anders. "Sie war mit ihrem Freund da und ging mit ihm in die Kabine", referiert er über die Erkenntnisse aus den Überwachungsvideos. Sein Kollege schildert später, dass man sogar beobachtet habe, wie ein abgetrennter Preiszettel auf die Oberseite der Kabinentür gelegt worden sei, als beide drinnen waren.

Dieser zweite Zeuge sagt auch, er sei von der Teenagerin verletzt worden, die ihn vor dem Büro an Brust und Oberarm gekratzt habe. Irgendwelche Ohrfeigen habe er aber nicht wahrgenommen. Sehr wohl habe ihm aber der zweite verletzte Detektiv erzählt, der Erstangeklagte habe ihn bei seinem Fluchtversuch mit dem Ellbogen erwischt, wodurch er eine Platzwunde an der Lippe erlitt.

Erstangeklagter versucht Entlastung

Nachdem der Erstangeklagte erschienen ist, wird auch er befragt. Der Angestellte versucht alle Schuld auf sich zu nehmen und seine Freundin zu entlasten. Mit mäßigem Erfolg, denn auf Gerstbergers Nachfragen gesteht er zu, B. habe "es schon geahnt", dass er nicht zahlen werde. Gebeichtet habe er ihr den Diebstahl aber erst auf der Straße.

Der von B. gekratzte Detektiv will von ihr 300 Euro Schmerzensgeld, was die Zweitangeklagte mit ihrem Verteidiger und ihrer Mutter vor der Saaltür bespricht. Bei der Rückkehr gibt es eine überraschende Wendung: Sie gibt doch zu, einen Beitrag zum Diebstahl geleistet zu haben, und bietet dem Detektiv 50 Euro an.

Gerstberger möchte eine Verurteilung der beiden unbescholtenen Teenager vermeiden und setzt daher sein mediatorisches Geschick ein. Es gelingt ihm schließlich, einen Vergleich über 150 Euro Schmerzensgeld unter den Beteiligten auszuhandeln. Für die beiden Angeklagten gibt es eine Diversion, sie müssen innerhalb eines halben Jahres 60 Stunden gemeinnützige Arbeit leisten. (Michael Möseneder, 19.6.2019)