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Als Spitzenkandidat der bei den EU-Wahlen stärksten Parteifamilie EVP darf sich Manfred Weber gute Chancen ausrechnen, neuer Kommissionschef zu werden. Aber der Weg ist weit, es gibt viele Hürden.

Foto: AP / Markus Schreiber

Es gibt sehr viel zu besprechen beim am Donnerstag startenden letzten regulären EU-Gipfel der Staats- und Regierungschefs vor der Sommerpause. Die Agenda ist voll. An der aktuellen Krise im Iran führt kein Weg vorbei. Die höchsten Vertreter der 28 Mitgliedstaaten wollen zur Lage in der Ukraine beraten, die sich zuspitzt, weil Präsident Wladimir Putin die Vergabe russischer Pässe in der Ostukraine erleichtern will – neue Sanktionen stehen daher im Raum.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron drängt darauf, dass das Thema "Klimaneutralität bis 2050" in der Legislaturperiode bis 2024 höchste Priorität bekommt. Und dann ist da wieder der Brexit. Für Premierministerin Theresa May könnte das Treffen zur Abschiedsvorstellung in Brüssel werden. Sie ist als Tory-Chefin bereits zurückgetreten. Wenn es schnell geht, dürften die Briten im Juli bereits von ihrem Nachfolger vertreten werden.

Zweifel an Erfolg im ersten Anlauf

Diese sehr komplexe Ausgangsposition zeigt, dass der EU-Gipfel von vielen Konjunktiven begleitet ist. Das gilt auch und vor allem für die von der Papierform her wichtigste Frage, mit der sich die EU-Chefs gemäß der Einladung des Ständigen Ratspräsidenten Donald Tusk beschäftigen müssen: der Nominierung eines Kandidaten oder einer Kandidatin für die Nachfolge von Jean-Claude Juncker. Es gibt große Zweifel, ob es bereits im ersten Anlauf gelingen wird, sich auf den künftigen Präsidenten der EU-Kommission zu einigen. In Regierungskreisen in Wien, in Paris und in Berlin hieß es Anfang der Woche, es sei gut möglich, dass es erst rund um den Tag der Konstituierung des Europäischen Parlaments in Straßburg am 2. Juli einen Sondergipfel geben wird, um das zu lösen.

Da Macron das System der Spitzenkandidaten nicht akzeptieren will, ist fraglich, ob der Christdemokrat Manfred Weber, sein sozialdemokratischer Rivale Frans Timmermans oder die Dänin Margrethe Vestager das Rennen machen können. Sie gelten als Favoriten. Aber seit jeher galt bei der Kür von Kommissionschefs eine ungeschriebene Regel: Favoriten kommen praktisch nie zum Zug, weil die Staaten sich in widerstrebenden Interessen verkeilen. Am Ende steht ein Kompromiss.

Am Ende kein Veto

Den Staats- und Regierungschefs kommt gemäß EU-Verträgen das Recht zu, den Juncker-Nachfolger zu nominieren. Sie sind an keine Vorgaben gebunden, sollten aber die Ergebnisse der EU-Wahlen "berücksichtigen". Der Kandidat wird von den Chefs mit qualifizierter Mehrheit bestimmt. Es gibt also keine Vetomöglichkeit.

Seit dem EU-Vertrag von Lissabon existiert aber eine neue hohe Hürde: Das EU-Parlament wählt den Kommissionspräsidenten in Direktwahl im Plenum mit Mehrheit. Ein von den Premiers nominierter Kandidat kann also auch durchfallen. Die Fraktionen im EU-Parlament bestehen bisher darauf, dass nur jemand infrage käme, der sich den Wählern als Spitzenkandidat gestellt habe.

Das trifft auf Weber, Timmermans, Vestager und die grüne Fraktionschefin Ska Keller zu, nicht aber auf den Brexit-Verhandler Michel Barnier oder den liberalen niederländischen Premier Mark Rutte, die oft genannt werden. Die vier wichtigsten Fraktionen im EU-Parlament – EVP, S&D, Alde und Grüne – drängen darauf, dass man vor den Nominierungen von Personen erst einmal ein breites "Koalitionsprogramm" für die künftige Kommission aufstellen solle. Das braucht Zeit. Es wird noch verhandelt.

Neue SP-Fraktionschefin

Bei den Sozialdemokraten wurde der Deutsche Udo Bullmann am Dienstag von der Spanierin Iratxe García Pérez an der Fraktionsspitze abgelöst. Die Liberalen konstituieren Mittwoch ihre Fraktion mit den Macronisten.

Ratspräsident Tusk wollte beim Gipfel alles zum "Personalpaket" lösen, das seinen Nachfolger, den Ersatz für Außenbeauftragte Federica Mogherini und den neuen Chef der Eurozentralbank einschließt. Weil Kanzlerin Angela Merkel mit Jens Weidmann einen Deutschen als EZB-Chef im Auge hat, könnte das auf ein Ausbremsen von Weber hinauslaufen. Alles ist offen, wahrscheinlich eine Verschiebung auf Ende Juni. (Thomas Mayer aus Brüssel, 19.6.2019)