Awakening Europe ist "eine Initiative zur geistlichen Erneuerung Europas in Christus", heißt es in der Selbstbeschreibung des Veranstalters. Auf den mehrtägigen Kongressen beten tausende Christen zusammen, so auch am vergangenen Wochenende in der Wiener Stadthalle. Einer der Teilnehmer war auch Ex-Bundeskanzler Sebastian Kurz. Der evangelikale Prediger Ben Fitzgerald, der Veranstalter der Eventserie, sprach ein "Segensgebet" für den ÖVP-Chef. Der Australier Fitzgerald "begegnete Jesus" im Jahr 2002, als er "gebrochen war und mit Drogen dealte", heißt es in seiner Kurzbiografie.

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Kurz war nicht der einzige ÖVP-Politiker auf der Bühne der Erwecker. Gudrun Kugler, Nationalratsabgeordnete, radikale Abtreibungsgegnerin und Aktivistin gegen die "Ehe für Alle", war als Rednerin in der Stadthalle eingeladen. In ihrer Ansprache betonte Kugler, dass Österreich "Awekening braucht" und erinnerte daran, dass in der Wiener Stadthalle auch in der Vergangenheit gebetet wurde: "Eine halbe Million Menschen haben um die Befreiung Österreichs gebetet". Kugler meinte damit die Jahre 1953, 1954, 1955 als auf Österreichs Straßen für den Abzug der Alliierten gebetet wurde. Die Übersetzerin, die auch auf der Bühne stand und die Rede auf Englisch wiedergab, nannte diese Zeit "Okkupation". Österreich wurde anschließend anders als Deutschland, nicht geteilt, meinte Kugler in ihrer explizit politischen Rede.

Gudrun Kuglers Rede ist ab 1h 16 Minunten zu sehen.
The Rock

Stolze und erweckte Nationen

Vor Österreich tourte Awakening Europe bereits durch die Tschechische Republik, Lettland, Schweden und Deutschland. "Eine ganze Nation" will der Verein nach eigenem Bekunden durch die Massenevents erwecken.

Dabei klopft Fitzgerald bemerkenswerte Sprüche: "I want Deutsche to be proud of being Deutsche. Who cares about history?", soll er laut einer Reportage aus dem Jahr 2017 in Stuttgart in die Masse gerufen haben. Ein Reporter des "Spiegel"-Portals "Bento" mischte sich damals unter die Teilnehmer der "Holy Spirit Night". Dabei handelt es sich um eine weitere Veranstaltungsreihe, an der der bekehrte Leiter von Awakening Europe, Fitzgerald, ebenso mitwirkt. Motto: "Europe shall be Saved". In Salzburg versuchte eine "Holy Spirit Night" im Sommer 2018 den Kontinent zu erretten.

Unter dem Schlagwort "Evangelikale" werden unterschiedliche christliche Bewegungen im Protestantismus zusammengefasst, die in den USA seit einigen Jahrzehnten großen Zulauf finden und nun auch in Europa Fuß fassen wollen. Die unterschiedlichen Freikirchen geben sich sehr modern, lebensnah, jugendlich und setzen auf Gemeinschaftserlebnisse und Massenveranstaltungen.

Europäische Experten grübeln noch, ob diese Bewegung als "harmlos" oder doch als "sektenartig" einzustufen ist. In den USA sind die Evangelikalen allerdings sehr klar politisch positioniert: In Donald Trump haben sie einen mächtigen Fürsprecher, sie zählen zu den wichtigsten Unterstützern des Präsidenten.

Sebastian Kurz sagt am Montag, das Gebet sei eine spontane Aktion gewesen, von der er selbst überrascht wurde.
DER STANDARD

Unglaubwürdiger Kurz

Es ist nicht ausgeschlossen, dass Sebastian Kurz nicht genau wusste, was ihn auf der Bühne mit dem Prediger Ben Fitzgerald erwartet. Es wäre allerdings ein seltener Moment, in dem Sebastian Kurz ohne Kalkül handelt. Eines hat er womöglich nicht bedacht: Wenn er in Zukunft – wie so oft in der Vergangenheit – Kritik am "Extremismus von allen Seiten" übt oder (oft zu Recht) vor dem politischen Islam warnt, dann wird er nun eine Spur unglaubwürdiger wirken.

Das Setting in der Stadthalle erinnert stark an die Auftritte jenes Mannes, den Sebastian Kurz als Integrationsstaatssekretär, Außenminister und Bundeskanzler stets heftig kritisiert hat: Recep Tayyip Erdoğan tritt auch gerne in Mehrzweckhallen auf, wie zuletzt in seinem Wahlkampf, der ihn sogar nach Sarajevo führte. Dort gab es, wie bei jedem seiner Auftritte, "Gott ist groß"-Rufe. Dort dankte man Gott für Erdoğan "als Retter des Glaubens".

Erdoğan ist nur ein, zugegeben drastisches, Beispiel von vielen, das zeigt, welche absurden Blüten die gegenseitige Vereinnahmung von Politik und Religion trägt. In Österreich gab es mit Sebastian Kurz in der Stadthalle nun eine Premiere, die an Skurrilität kaum zu überbieten ist. (Olivera Stajić, 17.6.2019)