Fast zwölf Jahre nach dem Mord an Meredith Kercher kämpfte Amanda Knox bei ihrer Rückkehr nach Italien mit den Tränen.

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Rom – Während ihres gesamten Auftritts in Modena rang Amanda Knox um ihre Fassung und kämpfte mit den Tränen. Mehrfach versagte ihr die Stimme. "Ich habe immer noch Angst in Italien, einem Land, das einmal ein Zuhause gewesen ist. Ich habe immer noch Angst, verlacht, belästigt und erniedrigt zu werden." Die heute 31-jährige ehemalige Austauschstudentin aus Seattle wirkt immer noch traumatisiert von dem, was am 2. November 2007 in ihrer Erasmus-Wohngemeinschaft in Perugia vorgefallen ist – und von der jahrelangen Gerichts- und Gefängnisodyssee, die für sie folgen sollte.

In jener Halloweennacht war ihre 21-jährige Mitbewohnerin Meredith Kercher aus Leeds vergewaltigt und ermordet worden. Es dauerte nicht lange, bis Amanda und ihr damaliger Verlobter Raffaele Sollecito ins Visier der Justiz gerieten. In einem ersten Prozess wurden die beiden wegen des Mordes an der britischen Studentin zu 26 und 25 Jahren Haft verurteilt, in einem neu aufgerollten Verfahren zu 28 und 25 Jahren. Als Mittäter zu 16 Jahren verurteilt wurde der schwarze Hilfsarbeiter Rudi Guede. Dieser hatte gestanden, beim Mord dabei gewesen zu sein; die eigentliche Tat aber hatte er Knox und Sollecito in die Schuhe geschoben.

"Der Engel mit den Eisaugen"

Der Prozess gegen Amanda Knox, die von Medien als "Engel mit Eisaugen" bezeichnet wurde, hatte weltweit Aufsehen erregt. Für die US-Medien war Amanda Knox das Opfer einer unfähigen italienischen Justiz; das Anti-Amanda-Lager in England dagegen stellte Knox als Prototyp eines männerverschlingenden Vamps dar, die ihre beiden willenlosen männlichen Begleiter zur Bluttat angestiftet habe.

Am Ende der jahrelangen Prozesse bestätigten die italienischen Richter die amerikanische Lesart des Geschehens: 2011 erfolgte ein erster Freispruch, worauf Knox in die USA zurückkehren konnte; 2015 bestätigte die höchste Instanz die Freisprüche.

Am Kongress über Strafjustiz in Modena fuhr Amanda Knox schweres Geschütz auf gegen Justiz und Medien in Italien: "Während Jahren gab es Schlagzeilen über Orgien und Sexspielzeug. Ich wurde als Schlitzohr dargestellt, als Psychopathin, als dreckige und drogenabhängige Hure", sagte sie mit stockender Stimme. Unter diesen Umständen habe sie "keinen fairen Prozess" mehr erwarten können. "Ich bin aber kein Monster, sondern ein Opfer", betonte Amanda am Wochenende.

Unschuldigen belastet

Bei ihrer Anklagerede unterschlug die Journalistin, dass sie an der Voreingenommenheit maßgeblich mitschuldig war: Sie hatte, um in den Polizeiverhören von sich als möglicher Täterin abzulenken, einen afrikanischen Barkeeper der Tat beschuldigt. Dieser verbrachte 23 Tage unschuldig in Untersuchungshaft, bis ihm ein Zeuge ein Alibi verschaffte. Für die falsche Anschuldigung ist Amanda Knox zu drei Jahren Gefängnis verurteilt worden. Insgesamt hat sie vier Jahre in italienischen Gefängnissen verbracht.

Am 2. November 2007 war Amanda Knox noch beinahe ein Kind gewesen: "Mit meinen 20 Jahren war ich eine glückliche und fröhliche ,ragazza' (Mädchen) gewesen – und wurde dazu verdammt, vier Jahre allein im Gefängnis zu verbringen", sagte Knox in Modena.

In Italien und in Leeds haben nicht alle den Auftritt Knox' bei dem Kongress als opportun empfunden. So forderte etwa der Anwalt von Merediths Eltern Respekt für das Opfer. "Ich weiß, dass ich noch mein Leben lang mit dem Tod meiner Freundin in Verbindung gebracht werde", erklärte Knox. Jedes Mal, wenn sie über Meredith spreche, werde sie beschimpft und beleidigt – "als wäre es ein Affront gegenüber Meredith, dass ich noch lebe". (Dominik Straub aus Rom, 16.6.2019)