Christopher Froome ist schwer gestürzt.

Foto: APA/AFP/ANNE-CHRISTINE POUJOULAT

Roanne – Es hätte schlimmer enden können, aber für den 34-jährigen Chris Froome hatte der Versuch, bei voller Fahrt die Nase freizubekommen, jedenfalls verheerende Folgen. Die Analyse des Unfalls beim Einfahren für die vierte Etappe des Criterium du Dauphine in Roanne nahe Lyon dokumentierte eine Verkettung unglücklicher Zufälle.

Achtstündige OP

"Chris kam eine anspruchsvolle Abfahrt herab Richtung eines geraderen Straßenstücks mit Häusern auf beiden Seiten", sagte Froomes Teamchef Dave Brailsford der BBC. Der Star von Brailsfords Ineos-Mannschaft habe seinem Begleiter Wout Poels signalisiert, dass er sich die Nase putzen wolle. "Dazu hat er eine Hand vom Lenker genommen. In dem Moment hat eine Windböe sein Vorderrad erfasst, er hat die Kontrolle verloren und ist geradewegs in die Hauswand" – mit Tempo 54, wie die Auswertung der Computerdaten ergab.

Am Donnerstag lag Froome nach einem achtstündigen operativen Eingriff auf der Intensivstation der Uniklinik St. Etienne. Darüber, wie lange die Genesung des viermaligen Siegers der Tour de France dauern wird, ließ sich nur spekulieren. Angesichts der Schwere der Verletzungen – Bruch des rechten Oberschenkels, des rechten Ellbogens und mehrerer Rippen – ist nur wahrscheinlich, dass Froome in diesem Jahr kein Rennen mehr fahren wird.

"Chris zeichnen mentale Stärke und Widerstandsfähigkeit aus", sagte Brailsford. Doch ob dies reichen wird, im gesetzteren Radsportalter in alter Stärke zurückzukommen, um sich den Traum vom fünften Tour-Sieg zu erfüllen und mit den Göttern Jacques Anquetil, Eddie Merckx, Bernard Hinault und Miguel Indurain gleichzuziehen, steht infrage. Mit 2020 dann 35 Jahren wäre Froome jedenfalls der älteste Triumphator der Geschichte.

Menschliche Komponente

Ineos, die Nachfolgemannschaft von Sky, muss sich in Hinblick auf die kommende Tour, die am 6. Juli in Brüssel anhebt, neu orientieren. "Chris hat unglaublich hart daran gearbeitet, in fantastische Form zu kommen. Er war auf dem besten Weg zur Tour", sagte Brailsford: "Wir lenken unseren Fokus aber jetzt darauf, ihn bei seiner Genesung zu unterstützen."

Ähnlich denken auch ehemalige Kontrahenten. "Egal ob er ein Rivale ist oder nicht. Egal was die Leute über Chris Froome sagen. Es geht hier um die menschliche Komponente. Er hat zwei kleine Kinder und eine Frau daheim", sagte der Australier Richie Porte, ein einstiger Teamkollege und selbst mehrmals von schweren Verletzungen ausgebremst.

Sky stellte sechs der sieben Toursieger seit 2012. Froomes Ausfall fällt sportlich umso schwerer in Gewicht, als sich kurz vor dem Giro d'Italia Kolumbiens Supertalent Egan Bernal, dem die Kapitänsrolle für die Italien-Rundfahrt zufallen wäre, das Schlüsselbein gebrochen hatte. Bernal könnte nun bei der Tour mit Titelverteidiger Geraint Thomas die Doppelspitze bilden, wie er die Pause verkraftet hat, ist aber offen. Thomas hat wiederum ein höchst durchwachsenes Frühjahr hinter sich. Wie er und Bernal in Form sind, soll die am Samstag in Langnau im Emmental anhebende Tour de Suisse zeigen.

In Frankreich stehen heuer fünf Bergankünfte auf dem Programm. Erstmals in der Geschichte liegen drei Ziele auf mehr als 2000 Meter Höhe, insgesamt 30 Passüberquerungen während der mehr als dreiwöchigen Konkurrenz sind ebenfalls eine neue Bestmarke. Dass insgesamt nur 54 Zeitfahrkilometer zurückzulegen sind, dazu noch die Hälfte mit der Mannschaft, hatte Froome bei der Präsentation überrascht. (sid, red, 13.6.2019)