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Die kleine Hütte im Dorf Rasana, in der die ermordete Achtjährige gelebt hat. Ihr Schicksal hat ganz Indien schockiert.

Foto: Foto: AP / Channi Anand

Dass die Verhandlung nicht in Kathua im indischen Teil Kaschmirs stattfand, sondern jenseits der Grenze, im Bundesstaat Punjab, spricht Bände. Zu aufgeheizt sei die Stimmung vor Ort, zu sensibel der Fall, urteilte das indische Höchstgericht. Eineinhalb Jahre ist es her, dass ein achtjähriges Mädchen in einem Waldstück im Dorf Rasana, in der Region Kathua, ermordet aufgefunden wurde. Zuvor, im Jänner 2018, war sie von einer Gruppe Männer in einen Hindu-Tempel entführt, dort betäubt, mehrfach vergewaltigt und nach einer Woche zu Tode geprügelt worden.

Anfang dieser Woche endete der Prozess schließlich mit Schuldsprüchen: Drei Männer – einer von ihnen ein lokaler Ex-Regierungsbeamter, ein anderer ein Polizist – müssen lebenslang ins Gefängnis, drei weitere Angeklagte fünf Jahre in Haft, weil sie Beweismaterial vernichtet haben.

Der Staatsanwalt zeigte sich mit dem Strafmaß zufrieden: "Dem Mädchen und seiner Familie ist Gerechtigkeit widerfahren." Ursprünglich hatte der Staatsanwalt die Todesstrafe für die drei Hauptbeschuldigten gefordert. Diese kann seit 2013 in Fällen von Vergewaltigung von Minderjährigen unter 12 Jahren verhängt werden. Ein Anwalt der Verteidigung kündigte wiederum an, das Urteil anzufechten.

Vertuschung durch Behörden

Der Fall hat in den vergangenen Monaten ganz Indien schockiert. In Neu-Delhi, Mumbai und Bangalore gingen immer wieder Menschen auf die Straßen und forderten Gerechtigkeit für die ermordete Achtjährige und ihre Familie. Viele warfen den Behörden Vertuschung vor, der die Herkunft des Mädchens zugrunde läge: Sie gehörte der muslimischen Minderheit der Gujjar, also muslimischer Hirten in der Region, an.

Lokale Medien hatten bald über den Fall berichtet, landesweit wurde "Kathua" aber erst ab April 2018 bekannt, weil radikale Hindus lautstark die Freilassung der Verdächtigen forderten. Zwei der Demonstranten waren Minister der damals wie heute regierenden BJP. Der Partei wird immer wieder vorgeworfen, Stimmung gegen ethnische und religiöse Minderheiten zu machen – gerade in der Krisenregion Kaschmir. Der "India Today"-Journalist Rajdeep Sardesai sprach am Montag von der "Politisierung von Verbrechen" in Indien. Die Politik würde "kommunales Gift in entsetzliche Verbrechen injizieren".

Vergewaltigung als Strafe

Sexuelle Gewalt gegen Frauen und Kinder kommt in Indien täglich vor. Manche besonders brutalen Fälle sorgen zwar regelmäßig für Schlagzeilen, aber die meisten Fälle bleiben unbeachtet, sagt die Journalistin Kalpana Sharma zum STANDARD. Vor allem niedrigkastige Frauen oder Musliminnen würden zur Strafe in Dorffehden regelmäßig vergewaltigt. Erst dieses Wochenende wurde eine Zwölfjährige im nordindischen Uttar Pradesh vor den Augen ihrer Eltern Opfer einer Gruppenvergewaltigung. In Madhya Pradesh wurde eine Zehnjährige vergewaltigt und anschließend erhängt. Als die Eltern bei der Polizei Anzeige erstatten wollten, sagten die Behörden erst, das "Dritte-Klasse-Kind" sei wohl weggelaufen, berichtet die "Times of India".

Den Ermittlern zufolge war der Mord in Kathua geplant, um die muslimischen Hirten aus der Region zu vertreiben. Zur BBC sagten die Eltern des ermordeten Mädchens, dass sie sich in Kathua bedroht fühlten. Die ältere Schwester des ermordeten Mädchens lassen sie nicht mehr ohne Begleitung außer Haus. Zur Verhandlung im Punjab kam die Familie nicht. Die Fahrt wäre zu teuer gewesen. (Anna Sawerthal, 12.6.2019)