Die europäisch-japanische Doppelraumsonde BepiColombo ist am 20. Oktober 2018 um 3.45 Uhr MESZ erfolgreich an Bord einer Ariane-5-Rakete vom europäischen Weltraumbahnhof in Kourou, Französisch-Guayana, gestartet. Gunter Laky, technischer Mitarbeiter am Grazer Institut für Weltraumforschung (IWF) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), war live dabei und erzählt von seinen Erlebnissen, während er auf den Abschluss der Funktionsüberprüfung der wissenschaftlichen Geräte an Bord wartet.

European Space Agency, ESA

19. Oktober 2018

Sehr beeindruckend sieht so eine Rakete aus 7,5 Kilometern Entfernung mitten in der Nacht ja nicht aus. Hätte nicht irgendjemand eine breite Schneise in den Urwald geschlagen, würde man von Agami aus (Agami heißt einer der offiziellen Public-Viewing-Plätze in der Nähe von Kourou) vom Port spatial de l'Europe, dem europäischen Weltraumbahnhof in Französisch-Guayana, sowieso nichts sehen. So sind aber ein paar Lichtflecke auszumachen, und weil man ja weiß, wie Rakete und Assistenzstrukturen am Launchpad aus der Nähe eigentlich aussehen, glaubt man tatsächlich, genauere Umrisse der 50,5 Meter hohen, 780 Tonnen schweren Trägerrakete des Typs Ariane 5 ECA zu erkennen.

Ganz oben, in der sogenannten Nutzlastverkleidung, wartet BepiColombo auf den Start – eine 6,5 Meter hohe Raumsonde, nicht ganz vier Meter im Durchmesser und über vier Tonnen schwer. Ganz formal heißt das Weltraumfahrzeug ja BepiColombo Mercury Composite Spacecraft und besteht im Wesentlichen aus drei großen Teilen: dem Mercury Transfer Module (MTM), das mit seinen Ionenwerken und 42 Quadratmeter großem Sonnensegel für den Transport von der Erde zum Merkur sorgt, und den beiden sogenannten Orbitern, die später einmal, wenn alles glatt läuft, um den Merkur kreisen werden. Der europäische Mercury Planetary Orbiter (MPO), Spitzname Bepi, ist direkt am MTM montiert, der kleinere, japanische Mercury Magnetospheric Orbiter, kurz MMO oder auch Mio genannt, sitzt huckepack am MPO.

BepiColombo wartet auf den Start.
Foto: ESA - S. Corvaja

Ein Generationenprojekt

Das Projekt hat schon eine lange Reise hinter sich, bevor die eigentliche Expedition überhaupt beginnt. Anfang der 1990er-Jahre wurde die Idee einer europäischen Mission zum Merkur das erste Mal diskutiert und wieder verworfen. Später wurde die Idee erneut aufgenommen, zur Jahrtausendwende beschlossen und nach dem italienischen Ingenieur und Wissenschafter Giuseppe "Bepi" Colombo benannt. Europäische Weltraummühlen mahlen langsam ... 2004 wurden die Messinstrumente, die sogenannte Payload, ausgewählt und noch einmal drei Jahre später die Mission endgültig bestätigt. Der erste realistische Starttermin lag im Jahr 2013, aber der Wechsel von einer Sojus-Fregat zur Ariane 5 als Trägerrakete und immer neue technische Herausforderungen machten Verschiebungen notwendig – zuerst auf Juli 2014, dann auf August 2015, Jänner 2017 und schließlich Oktober 2018. Bedenkt man dazu die siebenjährige Flugzeit bis zum Merkur, ist BepiColombo schon fast ein Generationenprojekt.

Europäischer Weltraumbahnhof im "französischen" Dschungel

Der europäische Weltraumbahnhof im Norden von Südamerika liegt optimal. Er ist nur circa 600 Kilometer vom Äquator entfernt, das bringt durch die Erdrotation einen wesentlichen horizontalen Geschwindigkeitsbeitrag bei einem Start nach Osten. Ebenda liegt der Atlantik, was wiederum die potenzielle Gefährdung von Menschenleben bei eventuellen Fehlschlägen verringert. Außerdem lassen sich geostationäre Umlaufbahnen leicht erreichen. Dass Französisch-Guayana zwar nicht mehr eine Kolonie, aber immer noch ein Departement Frankreichs und damit Teil der EU ist und dass man deswegen mit Euro – französische Preise – zahlt und nach EU-Roaming-Richtlinien telefoniert und surft, ist für den Besucher aus Österreich eine angenehme Begleiterscheinung. Frankreich schätzt wohl auch den großen Waldanteil – 97 Prozent der Fläche Französisch-Guayanas sind von Urwald bedeckt, der die C02-Bilanz des französischen Staates wesentlich verbessert.

Willkommen im französischen Dschungel.
Foto: IWF/ÖAW

Ariane 5: Erfolgsquote 95 Prozent

Mit BepiColombo startet die Ariane 5 bereits zum 101. Mal. Von den 100 bisherigen Abschüssen haben immerhin 95 Prozent zu 100 Prozent funktioniert, drei weitere werden als Teilerfolg gewertet, weil die Nutzlast nicht von vorneherein den vorgesehenen Orbit erreichte. Bleiben zwei Fehlschläge: Beim 14. Start musste die Rakete gesprengt werden, weil eines der "Vulcain" genannten Tieftemperaturtriebwerke versagte. Der allererste Start einer Ariane 5 am 4. Juni 1996 geriet sowohl für die Betreiberfirma Arianespace als auch für die Europäische Weltraumorganisation (Esa) zu einem völligen Desaster. Ein simpler Softwarefehler löst eine Ereigniskette aus, an deren Ende die durch die Bordelektronik ausgelöste Selbstzerstörung der Rakete steht.

Am 20. Oktober 2018 erleben die Menschen vor Ort – im Jupiter-Kontrollzentrum, auf den Public-Viewing-Plätzen Agami und Ibis und an den Stränden von Cayenne und Kourou – allerdings einen Bilderbuchstart. Das gilt natürlich auch für jene, die sich mitten in der Nacht europäischer Zeit den Livestream anschauen. Immerhin 50 sind das am Grazer Institut für Weltraumforschung (IWF-Nachlese).

Live is life

Es ist ein bisschen wie bei einem Fußballspiel: Im Fernsehen sieht man alles besser, bekommt mehr Information und Zeitlupenaufnahmen, aber mit der Live-Atmosphäre lässt sich das nicht vergleichen. Die Aufregung der Besucher, von denen viele schon jahrelang am Projekt arbeiten, ist fast greifbar und wird immer größer, je weiter der Countdown abläuft. Der Start selbst geht – abgesehen von den Anfeuerungsrufen der Zuschauer und den Geräuschen aus dem nahen Urwald – zuerst lautlos vor sich. Der Feuerball am hinteren Ende der Rakete wird langsam größer, fast wie ein kleiner Sonnenaufgang und fast genauso hell – ein großartiger und trotzdem beinahe furchteinflößender Moment. Der Schall kommt mit Verspätung, aber dann mit einem mächtigen Startknall und einem dumpfen Dröhnen, das Trommel- und Bauchfell in Schwingung versetzt. Als letztes Bild hinterlassen die zwei kleinen Lichtpunkte der Feststofftriebwerke, die sich nach dem Abwerfen langsam links und rechts vom großen Lichtpunkt der Hauptstufe entfernen, einen bleibenden Eindruck.

It’s Selfie-Time

27 Minuten später ist der Start für die Betreiberfirma Arianespace bereits ein Erfolg. BepiColombo trennt sich zum vorgesehen Zeitpunkt und am vorgesehenen Ort von der Oberstufe der Ariane, es gibt Applaus, Händeschütteln und Schulterklopfen im Kontrollraum. Bei den Verantwortlichen der Esa und der Jaxa (Japan Aerospace Exploration Agency), im Kontrollzentrum Esoc in Darmstadt sowie bei all jenen, die in irgendeiner Form mit den wissenschaftlichen Geräten zu tun haben, herrscht vorsichtiger Optimismus. Noch gibt es kein Signal von BepiColombo, noch sind die Sonnensegel nicht ausgeklappt, noch weiß niemand, ob die Payload den Start heil überstanden hat.

Rund acht Monate nach dem Start ist das natürlich alles Geschichte. BepiColombo hat sich in dieser Zeit schon bis auf über 55 Millionen Kilometer von der Erde entfernt (Stand März 2019). Die erste Telemetrie ist zeitgerecht eingetroffen, und die an Bord des Transfer Module installierten "Monitoring Cameras" haben spektakuläre Bilder von den ausgerichteten Antennen und entfalteten Sonnensegel sowie dem ausgeklappten Magnetometerboom geliefert. Die "Launch and Early Orbit Phase" konnte nach drei Tagen planmäßig abgeschlossen werden, seitdem läuft die "Near Earth Commissioning Phase". In dieser Zeitspanne wird der Satellit auf Herz und Nieren gecheckt und insbesondere auch die wissenschaftlichen Geräte einer eingehenden Funktionsüberprüfung unterzogen.

MPO-Mag sendet erste Daten …

Das IWF Graz ist an den Magnetfeldmessgeräten auf beiden Raumsonden beteiligt. MPO-MAG wurden gemeinsam mit Partnern in Deutschland und Großbritannien entwickelt, das technische Management lag in Grazer Händen. MMO-MGF wurde in einer Kooperation mit deutschen und japanischen Kollegen gebaut, das IWF hat sich vor allem beim Testen und Kalibrieren eingebracht, außerdem stellt Graz den Principal Investigator (PI), also den wissenschaftlich Hauptverantwortlichen. Magnetometer gehören typischerweise zu den ersten Instrumenten, die nach dem Start eingeschaltet werden. Die involvierten Kolleginnen und Kollegen wissen also schon, dass ihre Geräte die letzten Testphasen auf der Erde aber auch insbesondere den Start heil überstanden haben.

Messungen beim Ausklappen des MPO-MAG-Booms und Selfie-Aufnahmen des Bepi-Colombo-Transfermoduls.
Foto: ESA/BepiColombo/MPO/MAG/TUBS/IC London/IWF/MTM

Picam: Bitte warten

Beim zweiten Grazer Beitrag, einem Ionenmassenspektrometer namens Planetary Ion Camera (Picam), heißt es noch "Bitte warten". Picam ist Teil des Instrumentenpakets Serena, das unter italienischer Leitung vier Sensoren und eine zentrale Steuerungseinheit unter einem Namen vereint. Serena steht für Search for Exosphere Refilling and Emitted Neutral Abundances, bedeutet auf Italienisch aber auch so viel wie "heiter" oder "unbeschwert". Eine entsprechende Grundeinstellung war auch bei den vielen Projektmeetings mit den Kollegen aus Italien, Schweden und den USA oft nötig. Entwickelt wurde Picam unter österreichischer Leitung gemeinsam mit Kollegen aus Frankreich, Deutschland, Ungarn, Irland, Russland und der Slowakei, also gilt bezüglich Grundeinstellung Ähnliches, denn wenn – wie bei internationalen Projekten üblich – auch alles auf Englisch diskutiert und vereinbart wird, heißt das noch lange nicht, dass wirklich alle die gleiche Sprache sprechen.

Picam-Team am IWF Graz.
Foto: IWF/ÖAW

Abschied von der Erde

Alle Sensoren von Serena werden mit Hochspannung von einigen Kilovolt betrieben, dafür ist ein hervorragendes Vakuum im Instrumenteninneren unerlässlich, das zu erreichen dauert einfach. Also wurden die Geräte Mitte Dezember 2018 nur mit beschränkter Hochspannung erstmals in Betrieb genommen und alle grundlegenden Funktionen verifiziert. Erste echte Messergebnisse und damit absolute Gewissheit über die Funktion gibt es aber erst nach einer zweiten Commissioning Phase im Sommer 2019. Dann nähert sich BepiColombo der Erde wieder auf 28 Millionen Kilometer an und die Signallaufzeit von 92 Sekunden in eine Richtung erlaubt ein Testen fast in Echtzeit. Nach diesen Tests verabschiedet sich das Raumfahrzeug, mit dem ersten von neun Fly-by-Manövern (zwei weitere bei der Venus, sechs bei Merkur) ein weiteres Mal von unserem Heimatplaneten und begibt sich endgültig auf seine insgesamt siebenjährige Reise zum Merkur. (Gunter Laky, 14.6.2019)

Foto: ESA
European Space Agency, ESA