Matteo Salvini, Superstar der Rechten: Mittlerweile gibt es in Italien Millionen von Selfies mit dem ausländerfeindlichen Innenminister.

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Der Ton ist rau geworden in Italien: "Die illegalen Piratenschiffe müssen in einen Zustand versetzt werden, damit sie nicht mehr schaden können", wetterte Innenminister Matteo Salvini, als 47 Flüchtlinge, die an Bord der deutschen Sea-Watch 3 waren, an Land gebracht wurden.

Vor genau einem Jahr, am 1. Juni 2018, wurde die neue Regierung angelobt – und heute werden Freiwillige, die andere Menschen vor dem Ertrinken retten, als "Piraten" bezeichnet. Im Internet werden solche Aussagen Salvinis stets tausendfach geteilt und mit Kommentaren versehen, die noch sehr viel bösartiger sind.

"Das schöne Leben ist vorbei"

Salvini, der für die Fotografen gern mit Maschinenpistole oder Rosenkranz in der Hand posiert, hatte die neue Gangart sofort nach seiner Vereidigung angekündigt: "La pacchia è finita" – das schöne Leben ist vorbei. Der Spruch bezog sich zwar auf die Flüchtlinge – aber die Linken, die er in neofaschistischem Jargon als "Zecken" bezeichnet, und die "Gutmenschen" waren mit gemeint.

Die Guten sind nun die Bösen: Sie werden nun täglich als Feinde und Verräter Italiens hingestellt. Woher der Wind weht, merkte man auch Anfang Mai in Forlì: Da hielt der Innenminister eine Rede auf jenem Balkon, von dem aus einst Diktator Benito Mussolini zu den Massen sprach. Salvini pries dabei die Vorzüge der chemischen Kastration für Sexualstraftäter und warnte vor einem "islamischen Kalifat" in Brüssel.

Die permanente Hetze des Lega-Chefs gegen Ausländer, Hilfsorganisationen und Caritas hat ihre Wirkung auf die nationale Psyche nicht verfehlt: Das einst vergleichsweise gastfreundliche, offene und tolerante Belpaese, das noch vor wenigen Jahren stolz gewesen war auf seine eigene Seenotrettungsmission Mare Nostrum, ist über weite Strecken aggressiv und intolerant geworden.

Aufmärsche neofaschistischer Gruppen wie Casa Pound oder Forza Nuova sind inzwischen beinahe alltäglich; Übergriffe gegen Menschen dunkler Hautfarbe und insbesondere auch gegen Sinti und Roma ebenso. Und wenn Salvini den Namen von Papst Franziskus erwähnt, gibt es ein Pfeifkonzert – das war vor zwölf Monaten noch undenkbar gewesen im Mutterland des Katholizismus.

Die Armut nimmt zu

Die seit über zehn Jahren andauernde Wirtschaftskrise und die Globalisierung haben Millionen Italiener ärmer gemacht: 30 Prozent der Italiener verdienen weniger als 10.000 Euro pro Jahr, im Süden sind es 40 Prozent. Über fünf Millionen Menschen leben in absoluter Armut. Salvinis Slogan "Prima gli Italiani" (die Italiener zuerst) und seine Benennung von Sündenböcken – die "Migranten", die "Brüsseler Bürokraten" , die "Linken", die "Eliten" – fielen angesichts des wachsenden sozialen Elends und des immer tiefer werdenden Grabens zwischen Arm und Reich auf fruchtbaren Boden. Die Reduktion der Zahl der Bootsflüchtlinge um über 90 Prozent ist der mit Abstand wichtigste Grund, warum sich die Regierung bei den Italienern weiterhin großer Beliebtheit erfreut.

Die wirtschaftspolitische Bilanz fällt dagegen niederschmetternd aus. Die Regierung, die zuerst vollmundig "die Abschaffung der Armut" versprochen hatte, führte das Land schon nach wenigen Monaten in eine Rezession. Die Schuldenspirale dreht sich noch schneller, die Risikoaufschläge auf Staatsanleihen haben markant angezogen, was den Staat Milliarden Euro an Zinsen kostet. Und statt die grassierende Steuerhinterziehung zu bekämpfen, erließ man lieber mehrere Steueramnestien.

Regierungsparteien zerstritten

Inzwischen sind die beiden Regierungsparteien – neben der Lega ist das die von dem Komiker Beppe Grillo gegründete Fünf-Sterne-Bewegung – völlig zerstritten. "Separati in casa" nennen die Italiener das: ein getrenntes Paar, das noch im gleichen Haushalt lebt. Die grün und mitunter esoterisch angehauchten Grillini und die unternehmerfreundliche Lega haben einander nichts mehr zu sagen und blockieren ihre Vorhaben gegenseitig. Wichtige öffentliche Bauprojekte bleiben in der Schwebe – versprochene, dringend notwendige Reformen der Staatsverwaltung und der Justiz ebenso.

Die Europawahlen haben die Spannungen verstärkt: Dass die Lega in 15 Monaten ihren Wähleranteil auf 34 Prozent verdoppeln konnte und sich gleichzeitig jener der Grillini auf 17 Prozent halbierte, lieferte den Beweis dafür, dass nur Salvini von der Regierungsbeteiligung profitiert. Ihm gelang es, die Themen zu setzen, während die Grillini ein Ideal ums andere über Bord warfen.

Im Schatten Salvinis

Der Politikchef der Fünf Sterne, Luigi Di Maio, wurde zwar am Donnerstag in einer Internetabstimmung als Leader seiner Partei bestätigt, doch in Zukunft werden er und seine Minister noch weniger zu sagen haben als bisher: Seit der Europawahl ist Salvini endgültig die bestimmende Figur in der Regierung. (Dominik Straub aus Rom, 1.6.2019)