Haneke, Chabrol, Verhoeven, Zadek: Isabelle Huppert arbeitet mit der ersten Riege an Film- und Theaterregisseuren.

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Im Film ist sie ein Star. Dass Isabelle Huppert aber auch oft und regelmäßig auf Theaterbühnen zu sehen ist, das ist hierzulande weniger bekannt. Ganze fünf Mal wurde sie in Frankreich als beste Hauptdarstellerin für den wichtigsten Theaterpreis, den Moliére, nominiert – zwei Mal davon für ihre Verkörperung von Virginia Woolfs Orlando. Bei diesem legendären Solo (1993) arbeitete die französische Schauspielerin zum ersten Mal mit Licht- und Bewegungsregisseur Bob Wilson und Autor Darryl Pinckney zusammen. Nach Heiner Müllers Quartett ist das Maria-Stuart-Stück Mary Said What She Said die dritte Arbeit mit dem amerikanischen Regisseur. Am Tag der Wiener Premiere trafen wir Huppert in ihrer Hotelsuite.

STANDARD: Sie haben einmal gesagt, dass Ihre Filmrollen eine "histoire feminine" beschreiben, eine "weibliche Geschichte". Trifft das auch auf Ihre Theaterrollen zu?

Huppert: Ich glaube, ja. Ich habe die Medea gespielt, die Hedda Gabler oder die Blanche DuBois in Endstation Sehnsucht, in New York bin ich gerade in einem Stück namens The Mother aufgetreten. In all diesen Stücken steht ein weibliches Bewusstsein im Mittelpunkt des Stücks.

STANDARD: Gibt es so etwas wie einen roten Faden, der Ihre Bühnenfiguren verbindet?

Huppert: Ich bin der rote Faden (lacht). Aber im Ernst: Wenn ich auf meine Rollen blicke, dann erinnere ich mich in erster Linie daran, mit wem ich sie gespielt habe, wer der Regisseur der Inszenierung war oder wo wir gespielt habe. Theater ist Ensemblearbeit, es geht weniger um einzelne Rollen.

STANDARD: Die Maria Stuart haben Sie bereits einmal gespielt, 1996 in London, damals allerdings in Schillers Stück. Ihre jetzige Maria Stuart ist aus einem ganz anderen Stoff, oder?

Huppert: Die beiden Stücke sind nicht vergleichbar. Wir wissen, dass Schiller die Begegnung von Elisabeth und Maria Stuart erfunden hat, sie haben sich in Wirklichkeit nie getroffen. Der Monolog von Darryl Pinckney ist sehr barock, sehr poetisch. Er ist wie ein zerbrochener Spiegel, da gibt es viele Einzelteile, die man zusammensetzen muss. Es entsteht ein Porträt von Maria Stuarts Leben, ihren Kämpfe, ihren Lieben.

STANDARD: Mit welchen Gedanken blicken Sie auf die Schottenkönigin?

Huppert: Maria Stuart war 18 Jahre eine Gefangene, bevor sie geköpft wurde. Sie wurde früh verheiratet, war Königin von Frankreich, wurde beschuldigt, ihren eigenen Ehemann umgebracht zu haben. Es brannte ein Feuer in ihr, das fasziniert mich. Und da ist natürlich diese geheimnisvolle Aura, der man sich kaum entziehen kann. Es ist kein Zufall, dass so viele Dichter über sie geschrieben haben. Übrigens: Es gibt einige sehr schöne Sätze über die Macht von Frauen in dem Stück.

STANDARD: Verraten Sie sie?

Huppert: Im dritten Teil des Stücks sagt Maria Stuart: Frauen sollten in der Öffentlichkeit ihren Mund halten. Aber es ist natürlich klar, dass das nicht ihre Meinung ist, sondern jene der religiösen Mehrheit ihrer Zeit. Der Satz verkehrt sich in sein Gegenteil.

Der Körper starr, das Gesicht eingefroren, der Mund wie eine Sprechmaschine: Isabelle Huppert spielt Maria Stuart.
Foto: Lucie Jansch

STANDARD: Die jetzige Arbeit ist die dritte Zusammenarbeit mit Bob Wilson. Er ist bekannt dafür, dass er sich Figuren nicht psychologisch, sondern formalistisch nähert. Kommt das Ihrer eigenen, kühl-minimalistischen Spielweise entgegen?

Huppert: In seinem Konzept des Raumes, des Lichts und des Rhythmus ist Bob in der Tat sehr abstrakt. Wenn man mit ihm arbeitet, muss man damit umgehen können, und das tue ich. Aber diese Formalismen sind Theater ja im Allgemeinen eigen.

STANDARD: Wie meinen Sie das?

Huppert: Es geht nicht darum, Dinge zu erklären, sondern den Menschen Eindrücke zu vermitteln. Wilson arbeitet nie am und mit dem Text, er nähert sich über den Rhythmus, über Bewegungen, die Lautstärke. Es ist ein sehr eigenartiger Prozess, bei dem man sich als Schauspielerin anfangs vielleicht fremd fühlt. Am Ende ist er aber nah dran an den Figuren.

STANDARD: Auch psychologisch?

Huppert: Ich würde sagen, auf einer emotionalen Ebene. Ich habe nie verstanden, was das Wort psychologisch in Bezug auf einen Schauspieler bedeuten soll. Ich denke, emotional trifft die Sache besser. Es geht darum, einer Person Fleisch und Konturen zu geben. Theater ist an sich eine abstrakte Angelegenheit, Raum und Zeit werden willkürlich festgelegt. Ich habe nichts dagegen, wenn jemand zuerst die Form definiert und die Form anschließend zum Inhalt führt.

STANDARD: Loten Sie nicht gemeinsam mit einem Regisseur Ihre Rollen inhaltlich aus?

Huppert: Mit wirklich großen Regisseuren spricht man nie lange über Charaktere. Ich kann mich nicht erinnern, mit Michael Haneke lange über Die Klavierspielerin diskutiert zu haben. Er hat mir das Drehbuch gegeben und mich gefragt, ob ich es machen möchte, und ich habe Ja gesagt. Es muss natürlich ein gewisses Einverständnis geben, aber dann entstehen die Dinge von selbst.

STANDARD: Sie haben einmal gesagt, dass für Sie das Theater beunruhigender ist als der Film, da sie im Film Figuren erschaffen, die anders sind als Sie. Identifizieren Sie sich im Theater stärker mit Ihren Figuren?

Huppert: Für mich gibt es keinen großen Unterschied zwischen Film und Theater. Mein Zugang ist derselbe. Zudem nähert sich das Theater immer mehr dem Film an. Es gibt zum Beispiel immer mehr Videos auf der Bühne. Bob Wilson arbeitet mit Mikrofonen, er schafft über die Stimme eine große Intimität, und man hat das Gefühl, dass man nah an einer Person dran ist. Wie bei einer Nahaufnahme im Film.

STANDARD: Gehen Sie selbst ins Theater?

Huppert: Ja, oft und gern. Manche Menschen bezeichnen Theater als anachronistische Kunstform, aber sie vergessen, dass Theater zu Anfang unserer Zivilisation entstanden ist und noch immer da ist. Das traditionelle Kino hat durch Fernsehen und Serien große Konkurrenz bekommen und viel von seiner Besonderheit eingebüßt. Das finde ich schade.

Ein Schuh und ein Stuhl: Mehr Requisiten gibt es in Bob Wilsons Inszenierung nicht.
Foto: Lucie Jansch

STANDARD: Wie im Film haben Sie auch im Theater mit den interessantesten Regisseuren gearbeitet, auch mit deutschen, Peter Zadek zum Beispiel. Was ist für Sie die Besonderheit des deutschsprachigen Theaters?

Huppert: Es ist eines der besten Theatersysteme. Und die Schauspieler sind großartig! Wenn ich nur an Gert Voss oder Jutta Lampe denke. Vielleicht ist es die Verschiedenheit und Eigenständigkeit der Theaterstile, die das deutschsprachige Theater ausmachen. Man kann ja Zadek nicht mit Michael Grüber oder Thomas Ostermeier vergleichen, und trotzdem gehören sie alle zum deutschsprachigen Theater. Ich mag Wagemut auf der Bühne, vor allem die Respektlosigkeit dem guten Geschmack gegenüber.

STANDARD: Warum streichen Sie Letzteres hervor?

Huppert: Weil sie wichtig ist. Zadek trat Schönheit mit Füßen, er vertrat eine Ästhetik der Hässlichkeit. Theater muss radikal, schockierend sein, das ist auch seine politische Dimension. Ich habe in Frankreich Sarah Kanes 4.48 Psychose unter dem großartigen Regisseur Claude Régy gespielt und er sagte immer: Theater muss Theater töten. Theater ist eine Konvention. Und diese muss man immer wieder von Neuem radikal infrage stellen.

STANDARD: Trifft das nicht auch auf den Film zu?

Huppert: Dort ist es viel schwieriger. Hinter Filmen steckt eine riesige Maschinerie, es geht um viel Geld. Da lässt sich nicht so einfach alles über Bord werfen.

STANDARD: Apropos radikale Regisseure: Werden Sie Michael Haneke hier in Wien treffen?

Huppert: Natürlich, ich könnte mir nicht vorstellen, nach Wien zu kommen, ohne meinen Michael zu sehen. Er kommt heute zur Premiere.

STANDARD: Gibt es ein gemeinsames Filmprojekt?

Huppert: Nicht in nächster Zukunft, aber ich hoffe mittelfristig.