Straßburg – Die Europawahl geht am Sonntag ins große Finale. Am vierten Wahltag bestimmen 21 EU-Staaten, darunter Österreich, ihre neuen Abgeordneten für das Europäische Parlament. Mit Spannung wird vor allem das Abschneiden rechtspopulistischer und EU-skeptischer Parteien beobachtet, die in Italien, Frankreich, Polen, Ungarn sowie dem scheidenden Mitglied Großbritannien den Sieg davontragen dürften.

Europaweit dürfte die konservative Europäische Volkspartei (EVP) ihre führende Rolle vor den Sozialdemokraten behaupten können, doch werden die beiden großen Parteienfamilien erstmals keine gemeinsame Mehrheit im 751-köpfigen Europaparlament mehr haben. Damit ist äußerst ungewiss, ob die Spitzenkandidaten Manfred Weber (EVP) und Frans Timmermans (SPE) ihren Anspruch auf den Posten des EU-Kommissionspräsidenten durchsetzen können. In den sieben Staaten, die bereits seit Donnerstag wählten, hatte sich eine deutlich höhere Wahlbeteiligung sowie ein stärkerer Erfolg pro-europäischer Parteien abgezeichnet. Die Ibiza-Affäre rund um die FPÖ war in der letzten Wahlkampfwoche in zahlreichen Mitgliedsstaaten zum wichtigen Thema geworden.

Erste Prognosen soll es um 20.15 Uhr geben, eine erste Hochrechnung erst nach dem europaweiten Wahlschluss um 23 Uhr. Neben Österreich (18 Abgeordnete) stimmen auch Belgien (21), Bulgarien (17), Dänemark (13), Deutschland (96), Estland (6), Finnland (13), Frankreich (74), Griechenland (21), Italien (73), Kroatien (11), Litauen (11), Luxemburg (6), Polen (51), Portugal (21), Rumänien (32), Schweden (20), Slowenien (8), Spanien (54), Ungarn (21) und Zypern (6) ab. Die Wahl hatte bereits am Donnerstag in den Niederlanden (26 Abgeordnete) und Großbritannien (73) begonnen. Am Freitag wählten Irland (11) und Tschechien (21), am Samstag Tschechien, die Slowakei (13), Malta (6) und Lettland (8).


Beobachter rechnen damit, dass die Slowakei mindestens einen rechtsextremen Abgeordneten ins Europaparlament wählen wird. In Tschechien, wo die Wähler bereits am Freitag und dann nochmals am Samstag ihre Stimme abgeben konnten, gilt die populistische Partei ANO von Regierungschef Andrej Babis als Favorit. In Malta dürfte ebenfalls die sozialdemokratische Regierungspartei den Sieg davontragen.

Überraschungen

Den Anfang hatten am Donnerstag Großbritannien und die Niederlande gemacht. In den Niederlanden erhielten die Hoffnungen von Nationalisten und Rechtspopulisten auf starke Zugewinne einen ersten Dämpfer, denn die Sozialdemokraten lagen dort ersten Prognosen zufolge überraschend vorn. Am Freitag wurde außerdem in Irland gewählt. Doch gab es einer Wählerbefragung zufolge einen Sensationserfolg für die Grünen, die auf drei von elf EU-Mandaten hoffen dürfen – nachdem sie bisher noch überhaupt nicht im Europaparlament vertreten waren. Stärkste Partei dürfte die konservative Regierungspartei Fine Gael bleiben.

Aus Großbritannien wird es erst Sonntagnacht erste Ergebnisse geben. Auf der Insel hat die erst in diesem Jahr gegründete Brexit-Partei von EU-Gegner Nigel Farage Umfragen zufolge Aussichten auf einen Sieg.

Großteil wählt am Sonntag

In den 21 übrigen EU-Ländern, darunter Deutschland, Frankreich und Italien, wird erst am Sonntag gewählt. Während der konservative EU-Spitzenkandidat Manfred Weber seinen Wahlkampf am Freitagabend in München abgeschlossen hatte, trat sein sozialdemokratischer Kontrahent Frans Timmermans am Samstagvormittag noch beim SPÖ-Wahlkampfabschluss in Wien auf. Der Niederländer hofft auf ein starkes Finish, um Webers Europäische Volkspartei (EVP) noch einholen zu können. Timmermans' Arbeitspartei (PvdA) hatte die Europawahl in den Niederlanden am Donnerstag überraschend gewonnen. Laut einer am Samstag aktualisierten Prognose des Projekts "Poll of Polls" für Politico kann die EVP mit 173 Mandaten rechnen, die SPE mit 149.

Insgesamt sind in den 28 Mitgliedstaaten 427 Millionen Bürger aufgerufen, die 751 Abgeordneten des Europaparlaments zu bestimmen. Offizielle Wahlergebnisse dürfen erst nach Ende der viertägigen Europawahl in allen Mitgliedstaaten am Sonntagabend veröffentlicht werden.

Gewinne für Rechte

Insgesamt wird mit deutlichen Zugewinnen für die Rechtspopulisten und EU-Gegner in ganz Europa gerechnet. In Umfragen liegen die rechtspopulistischen und nationalistischen Parteien unter anderem in Frankreich, Italien und Ungarn vorn. So könnte die fremdenfeindliche Lega von Italiens Innenminister und Vizeregierungschef Matteo Salvini zahlreiche Sitze gewinnen.

Auch in Frankreich deutet sich ein Wahlsieg der Rechtspopulisten an. Marine Le Pens rechtspopulistische Partei Rassemblement National (RN, Nationale Sammlungsbewegung) lag in letzten Umfragen knapp vor der Partei La Republique en Marche von Präsident Emmanuel Macron und kann demnach auf 24,5 Prozent der Stimmen hoffen. Allerdings steht das erwartete starke Abschneiden der Rechtspopulisten nicht repräsentativ für den gesamten Staatenbund: In Spanien, Deutschland oder den baltischen Staaten etwa wird ein solider Rückhalt für die EU erwartet.

Niedrige Beteiligung

Ein Augenmerk liegt auch auf der Wahlbeteiligung, die seit der ersten Wahl zum Europäischen Parlament 1979 stetig zurückging. Das geringste Interesse fand die Europawahl 2014 in Tschechien (18,2 Prozent) und der Slowakei (13,05 Prozent). In Österreich gaben immerhin 45 Prozent der Wähler ihre Stimme ab. Diesmal wurde europaweit eine gestiegene Beteiligung erwartet. So wurde in den Niederlanden die höchste Beteiligung seit 30 Jahren erreicht (42 Prozent), auch in Irland war sie ersten Einschätzungen zufolge höher. In Österreich könnte die Beteiligung an der Europawahl nach Einschätzung des Meinungsforschers Christoph Hofinger bis zu 60 Prozent erreichen – unter der Voraussetzung, dass die Ibiza-Affäre nicht demobilisierend wird.

Begleitet wurde die Wahl von der Sorge vor Falschinformationen und Manipulationsversuchen. Die EU richtete daher ein Frühwarnsystem ein. Das Londoner Institut für Strategischen Dialog warnte am Freitag vor europaweiten Online-Kampagnen, die von rechtspopulistischen Gruppen und "Cybermilizen" gesteuert würden. Das Institut verwies unter anderen auf den massenhaften Einsatz von Social Bots, also computergesteuerten Accounts, durch die Brexit-Partei in Großbritannien und die Facebook-Aktivitäten der AfD. Zudem sei die Diskussion über die EU-Wahl im Netz in besonderem Maß von "Hasssprache" geprägt. (APA, 25.5.2019)