"Das ist ein Sumpf, den nicht die FPÖ verursacht hat, sondern den über Jahrzehnte die SPÖ und die ÖVP kultiviert haben", sagt Beate Meinl-Reisinger

Foto: APA/Schlager

Wien – Bundeskanzler Sebastian Kurz droht am Montag, dass er als erster Bundeskanzler der Zweiten Republik durch einen Misstrauensantrag im Parlament gestürzt wird. Die Neos haben frühzeitig ausgeschlossen, dabei mitzumachen.

Neos-Parteichefin und Klubobfrau Beate Meinl-Reisinger hat sich früh darauf festgelegt, bei einem Misstrauensantrag gegen Kurz nicht mitzumachen.

STANDARD: Haben Sie einen Deal mit dem Herrn Bundeskanzler?

Meinl-Reisinger: Absoluter Schwachsinn! Ich handle aus meiner Verantwortung für die Republik – wir erleben gerade die turbulentesten Zeiten der österreichischen Innenpolitik. Ich habe in all diesen Tagen klar gesagt, was passieren muss – im Gegensatz zu anderen Parteien zögere ich nicht und sage, was ich mir denke, auch wenn ich dafür Prügel einstecke.

STANDARD: Sie waren die Erste, die am frühen Freitagabend gesagt hat, dass Neuwahlen fällig sind.

Meinl-Reisinger: An Neuwahlen führt kein Weg vorbei, habe ich gesagt. Das hat ja auch der Kanzler nach einer langen Schrecksekunde, wo er möglicherweise noch taktiert hat, eingesehen. Ich habe auch gesagt, dass Heinz-Christian Strache und Johann Gudenus zurücktreten müssen. Ich habe auch gesagt, dass die FPÖ-Ministerriege nicht im Amt bleiben kann. Allen voran der Innenminister Herbert Kickl – aus mehreren Gründen, etwa der Russlandnähe, die auch die Nachrichtendienste betrifft.

STANDARD: Und Sie haben alles bekommen, was Sie gewollt haben?

Meinl-Reisinger: Ja. Ich bin am Montag schon gefragt worden, ob ich einen Misstrauensantrag gegen Sebastian Kurz mittragen würde – und habe am Montag schon klar gesagt: Nein! Weil ich nämlich der Meinung bin, dass es jetzt eine Verantwortung gibt, aufzuklären – da lasse ich Kurz nicht aus der Verantwortung heraus. Das Zweite ist, das Vertrauen in die Politik im Allgemeinen wiederherzustellen, Österreich nicht in ein Chaos zu stürzen.

STANDARD: So ähnlich sieht es auch der Herr Bundespräsident.

Meinl-Reisinger: Ich denke, dass der Herr Bundespräsident sehr klar darin war, was jetzt zu passieren hat. Wenn er sagt, er denkt nicht über einen Plan B nach, dann ist das zu respektieren, weil wir sonst in einem absoluten Blindflug unterwegs wären.

STANDARD: Der Verfassung entsprechend ist jede Bundesregierung eine Regierung des Bundespräsidenten.

Meinl-Reisinger: In so einer Krise kommt dem Herrn Bundespräsidenten und dem Herrn Bundeskanzler hohe Bedeutung zu. Es gibt viele Menschen, die sich freuen würden, wenn der Herr Kurz besser heute als morgen aus dem Amt gehen würde – aber wenn man kühlen Kopf bewahrt, dann hat er eine Verantwortung für das Land. Und in dieser Verantwortung muss er für Aufklärung sorgen. Man darf jetzt nicht zur Tagesordnung übergehen und sagen: Das waren die Herren Strache und Gudenus. Das ist ein Sittenbild der österreichischen Politik. Wir haben ein Problem mit Transparenz, wir haben ein Problem mit einem zahnlosen Rechnungshof. Das ist ein Sumpf, den nicht die FPÖ verursacht hat, sondern den über Jahrzehnte hinweg die SPÖ und die ÖVP kultiviert haben. Wenn wir es ernst meinen, muss Sebastian Kurz jetzt hergehen und sagen: Wir verschärfen die Gesetze. Wir schaffen echte Transparenz, wir legen offen.

STANDARD: Und das noch vor der Wahl?

Meinl-Reisinger: Das muss noch vor der Wahl passieren. Das ist jetzt ein Lackmustest. Wir bereiten jetzt in einigen Bereichen Initiativanträge vor. Es betrifft die Themenbereiche Rechnungshofkontrollmöglichkeiten, Sanktionen bei Überschreitung der Wahlkampfkosten. Es betrifft die Frage Straftatbestand illegale Parteienfinanzierung. Und es betrifft vor allem auch die Notwendigkeit, dass sämtliche Vorfeldorganisationen, Vereine im Umfeld, Bünde und was auch immer, Teil des Rechenschaftsberichts sein müssen. Noch letzten Donnerstag habe ich in meiner dringlichen Anfrage an den Kanzler die Frage gestellt: Sind wir transparent genug, können wir ausschließen, dass es dubiose Finanzierungsquellen aus Russland gibt? Da hat uns ja auch der Bundeskanzler abgeschasselt. Und recht habe ich gehabt, und es tut mir leid, dass ich recht gehabt habe.

STANDARD: Was sollte vor der Wahl noch rasch mit den sich neu eröffnenden Mehrheitsverhältnissen beschlossen werden?

Meinl-Reisinger: Es gibt vor allem etwas, was uns nicht vor der Wahl passieren darf: nämlich dass jetzt wieder Wahlzuckerln verteilt werden und in absoluter Verantwortungslosigkeit jeder seine Klientel bedient. Ich sehe in dieser Minderheitsregierung eine Verwaltungsregierung und erwarte, dass keine Gesetze mehr auf den Weg gebracht werden. Daher habe ich den anderen Klubobleuten einen "Pakt für Verantwortung" vorgeschlagen, darin soll von allen Parlamentsparteien vereinbart werden, vor der Nationalratswahl keine Maßnahmen zu beschließen, welche die Schuldenlast der Republik erhöhen würden.

STANDARD: Der Wahlkampf, der jetzt kommt, kommt Ihnen wohl nicht besonders gelegen – oder sind Sie auf Neuwahlen vorbereitet?

Meinl-Reisinger: Auf einer persönlichen Ebene kommt er mir natürlich nicht gelegen, mit einem noch nicht einmal acht Wochen alten Kind. Aber in der Organisation sind wir sehr gut aufgestellt. Ich bin auch sehr stolz, dass wir einen guten Wahlkampf für die Europawahl gemacht haben, der mir vor allem deshalb so gut gefallen hat, weil wir uns auf unsere Themen und Visionen konzentriert haben. Auch wenn es nicht für alle populär ist. So werden wir das auch auf Bundesebene machen. Und: Wir haben gute Leute. (Conrad Seidl. 25.5.2019)