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Videospielsucht ist nun offiziell eine Krankheit.

Foto: AP/Pingry

Gamingsucht ist ab sofort eine offizielle Krankheit. Das wurde von der WHO auf einer Tagung in Genf beschlossen. Die Videospielsucht findet sich fortan im neuen internationalen Katalog der Krankheiten (ICD-11) unter dem Begriff "Gaming Disorder". Dort ist nun ein Verweis auf Computerspiele zu finden, bislang war dort nur die Glücksspielsucht erfasst.

ICD-11 offizieller Standard

Erstmals ins Gespräch kam die "Gaming Disorder" bereits 2017. Damals erkannte die WHO die Sucht nach Videospielen als psychische Störung vorläufig an. Bei der Abstimmung in Genf wurde nun festgelegt, dass der Entwurf des ICD-11 mitsamt der Gamingsucht offiziell zum Standard für Ärzte und Wissenschafter wird.

Drei Kriterien wurden dabei festgelegt:

  1. Beeinträchtigte Kontrolle über das eigene Spielverhalten (hinsichtlich Häufigkeit, Intensität, Dauer, Beginn oder Ende des Gamings)
  2. Verstärkte Priorisierung von Gaming, bis hin zu dem Punkt, dass andere Lebensbereiche und Aktivitäten vernachlässigt werden
  3. Weiterspielen trotz Konsequenzen

Unter "Gaming Disorder" sieht die WHO ferner ein Muster aus anhaltendem oder immer wiederkehrendem Verhalten bezüglich Gaming, das sowohl online als auch offline auftritt. Dieses soll mehr als ein Jahr lang auftreten, um eine Diagnose zu stellen.

Künftig Therapiemöglichkeiten

Konsequenz der Einordnung als offizielle Krankheit ist, dass es fortan Therapieangebote in Österreich geben wird. Die Wiener Gebietskrankenkasse (WGKK) erklärt auf Anfrage des STANDARD, dass Betroffene "krankheitswertiger psychischer Störungen" mit vorhandener ICD-Diagnose Psychotherapie auf Kosten der Krankenkasse in Anspruch nehmen können. In Wien werden psychotherapeutische Dienste über die WGKK vor allem von der Wiener Gesellschaft für psychotherapeutische Versorgung und dem Verein für ambulante Psychotherapie erbracht. Das jährliche Kontingent beträgt rund 120.000 Stunden.

Die Handhabung dürfte bei den meisten österreichischen Krankenkassen ähnlich sein. Auch in Deutschland bahnt sich eine solche Lösung an. Der dortige Gesundheitsminister Jens Spahn geht davon aus, dass die Therapie von gesetzlichen Krankenkassen bezahlt werden wird.

Viel Kritik aus der Industrie

Wie Gamestar.de berichtet, wurde die WHO-Entscheidung von Industrievertretern bislang kritisch gesehen. Die Lobbygruppe ESA sieht darin etwa eine "Banalisierung echter psychischer Gesundheitsprobleme wie Depressionen und Angststörungen". Vor der Abstimmung wurde ferner gewarnt, dass die "Klassifizierung von 'Gaming Disorder' ein Risiko der Fehldiagnose für Patienten mit hohem Hilfsbedarf darstellt". "Überstürzte Aktionen" sollten vielmehr vermieden werden.

AJ+

Keine "überstürzte Aktion"

Die Kritik der ESA weist Gabriele Fischer, Leiterin der Drogenambulanz, Suchtforschung und Suchttherapie der Med-Uni Wien, zurück. Die Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie sagt gegenüber dem STANDARD, dass vor der Entscheidung jahrelange Forschung betrieben wurde und es sich definitiv nicht um eine "überstürzte Aktion" handle.

Fast 500.000 Risiko-Gamer in Deutschland

Im April ergab eine Studie der Krankenkasse DAK und des Deutschen Zentrums für Suchtfragen, dass 465.000 deutsche Jugendliche Risiko-Gamer sind und elf Prozent davon regelmäßig in der Schule fehlen, um sich Computerspielen zu widmen. Die betroffenen Teens klagen ferner über Sorgen und Ängste und haben mit Konzentrationsproblemen, motorischer Unruhe und erhöhter Aggressivität zu kämpfen.

Teures Hobby für Kinder

Die Studie weist aus, dass besagte Risiko-Gamer zwischen zwölf und 17 Jahren auch viel Geld für Gaming ausgeben. Durchschnittlich werden innerhalb von sechs Monaten rund 110 Euro für das Hobby ausgegeben. Der Spitzenwert lag bei 1.000 Euro.

Als Gegenmaßnahme schlägt Andreas Storm, Vorstandschef der deutschen Krankenkasse, vor, dass man Lootboxen verbietet. "Nutzer werden so an die suchtgefährdenden Mechanismen des klassischen Glücksspiels herangeführt", warnt Storm vor dem verbreiteten Element.

Wie viele Risiko-Gamer gibt es in Österreich?

Ob und wie viele Risiko-Gamer es in Österreich gibt, ist bislang nicht erfasst. Das liegt laut Fischer daran, dass man bei der Erfassung von Suchtkrankheiten eine große Stichprobe ziehen muss, die mit hohen Kosten verbunden ist. Geld, das die öffentliche Hand aufgrund der wohl geringen Anzahl an Betroffenen nicht aufbringen werde. (dk, 24.5.2019)