Die Stimmung in den sozialen Medien bebt: Während die einen jubeln und mit Memes einen vermeintlichen Sieg feiern, lecken andere ihre Wunden und mobilisieren für den Rachefeldzug (Stichwort: jetzt erst recht!). Auf den Stammtischen zeigt sich ein ähnliches Bild und selbst Journalisten machen aus ihrer Laune oder ihrer politischen Ratlosigkeit keinen Hehl, wie beim Runden Tisch im ORF am Montag dieser Woche. Dabei ist es erstaunlich, wie wenig darüber gesprochen wird, was es für die Zukunft der Demokratie generell und ganz aktuell für das politische System in Österreich bedeutet, wenn ein heimlich mitgeschnittenes Video eine derartige politische Krise auslöst.

Es ist nicht nur eine Partei gefallen und eine Regierung geplatzt, sondern auch in der Bevölkerung bewegt das Ereignis etwas. Vorwiegend scheinen es Ekel und Enttäuschung zu sein, die empfunden werden. Zwar gibt es noch keine repräsentative Umfrage, doch liegt der Verdacht nahe, dass so manche Wähler und Wählerinnen aufgrund der aktuellen Ereignisse sowohl bei der EU- als auch bei der NR-Wahl auf ihr Wahlrecht verzichten werden. Die BürgerInnen wenden sich ab. Aus dem Homo Politicus, der sich engagiert, wird der Homo A-politicus, der sich ins Private zurückzieht und politisch abschirmt.

Wer nimmt noch das Risiko auf sich, in die Politik zu gehen?

Der umgekehrte Fall ist genauso bedenklich für ein demokratisches System. Auch wenn es keinen Zweifel daran geben kann, dass die Journalisten richtig gehandelt haben, indem sie die inkriminierenden Videoausschnitte veröffentlichten, darf man sich einer Gefahr bewusst sein: Wenn Politiker/innen damit rechnen müssen, zu jeder Zeit, in jeder Situation, von wem auch immer abgehört, aufgenommen oder einfach beobachtet zu werden, wer wird dann noch bereit sein, ein politisches Amt zu übernehmen? Es muss gar nicht immer eine Falle mit versteckter Kamera sein, weit häufiger ist längst die ununterbrochene Beobachtung per social media.

Schon jetzt findet man immer weniger Personen, die sich als Bürgermeister oder Bürgermeisterin engagieren möchten, wenngleich hier die Motive durchaus auch andere sind, wie Zeitaufwand, mangelnde Honorare und die ständige Angst, für etwas haften zu müssen, das man selbst kaum kontrollieren kann. Das bedeutet zwar nicht, dass Österreich auch auf nationaler Ebene bald die Politiker/innen ausgehen werden, doch die gegenwärtige Diskussion wirft sehr wohl die Frage auf, wer die Menschen sind, die das Risiko des politischen Engagements noch eingehen wollen. Sorgen muss man sich dabei nicht um die sogenannten Polterer machen, sondern eher um jene, die die feinen Töne spielen.

Demokratie muss immer wieder erarbeitet werde

So bedenklich die aktuelle Situation ist, die österreichische Demokratie ist gefestigt genug, um die Krise zu überstehen, auch wenn sie ganz klar Schaden nimmt. Diese Krise könnte aber auch als Chance begriffen werden, um der Entfremdung der Bürger und Bürgerinnen entgegenzuwirken. Ein erster Schritt wäre, nicht sofort in den Wahlkampfmodus zu springen und sich Eigenlob oder Schuldzuweisungen hinzugeben, sondern genau hinzuhören und zu versuchen zu begreifen, welche Form von Politikverständnis das Schlamassel verursacht hat.

Das würde voraussetzen, das eigene Ego ein wenig hintanzustellen und sich daran zu erinnern, was politische Arbeit in einer Demokratie eigentlich bedeutet: Sie ist ein Engagement für und ein Dienst an der Gesellschaft. Der Sozialwissenschafter Oskar Negt hat das sehr schön zusammengefasst: "Demokratie ist die einzige politisch verfasste Gesellschaftsordnung, die gelernt werden muss – nicht ein für allemal, so als könnte man sich einen gesicherten Regelbestand aneignen, der fürs ganze Leben ausreicht, sondern immer wieder, in tagtäglicher Anstrengung bis ins hohe Alter hinein."

Derzeit sieht es noch nicht so aus, denn die einen sonnen sich im Licht, manche warnen überdeutlich vor einem schmutzigen Wahlkampf und andere sinnen auf Vergeltung. Zwar sagen fast alle Parteien, dass sie nun ganz für die Bürger und Bürgerinnen handeln werden, doch bleibt offen, ob auch nur ein/e Politiker/in hinhört, was diese in der Krise bräuchten, und ob sie davon ausgehend etwas lernen möchten. (Daniela Ingruber, 23.5.2019)