Das Packerl kommt bis zur Wohnungstür, doch niemand ist zu Hause – Logistiker suchen nach Alternativen zur aktuellen Zustellpraxis.

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Adresse laut Routenplaner ansteuern, Abstellmöglichkeit für den Lieferwagen finden, im Laderaum das richtige Paket suchen; Türnummer finden, läuten, warten; Empfänger unterschreiben lassen, einen Zettel hinterlegen oder eine Abstellmöglichkeit nutzen; dann geht's auf zur nächsten Adresse. Das Spiel beginnt von vorn, dutzende Male am Tag. Paketzustellung zur Haustür ist eine zeit- und kostenintensive Dienstleistung.

In Zeiten vor dem E-Commerce-Boom war sie noch leicht bewältigbar. Mit dem Aufstieg der Onlinehändler geraten die an der Zustellung beteiligten Infrastrukturen aber schwer unter Druck. Lieferwagen verstopfen Innenstädte und lassen CO2-Emissionen ansteigen.

Logistiker leiden unter immensem Kostendruck. Fahrer werden zur Mangelware. Die "letzte Meile" wurde zur großen offenen Wunde des Logistikgeschäfts. Offen bleibt, wie sie sich nachhaltig schließen lässt.

Fix ist: Die Paketlawine schwillt weiter an. Und zwar massiv. Das Beratungsunternehmen Oliver Wyman geht für Deutschland von einer annähernden Verdreifachung der auszuliefernden Pakete bis 2028 aus. Waren es dort im Jahr 2018 etwa 3,5 Milliarden Pakete, sollen es eine Dekade später neun Milliarden sein.

Nicht nur bestellen Kunden immer mehr Elektronik, Medien und Kleidung im Netz, auch Aspekte wie zunehmender Direktvertrieb von Herstellern oder neues Paketaufkommen im Business-to-Business-Bereich – beispielsweise beim Ersatzteilhandel – tragen dazu bei. "Unsere Zahlen bilden ein mittleres Wachstumsszenario für die nächsten zehn Jahre ab. Es gibt durchaus auch Schätzungen, die deutlich darüber hinausgehen", ordnet Michael Lierow von Oliver Wyman die Entwicklungen ein.

Neue Lösungen gesucht

Das Wachstum kann nicht ohne Folgen bleiben. Sprich: Die Zustellung kann nicht weiterhin gleichzeitig flächendeckend und so kostengünstig wie bisher erfolgen. Die wachsenden Paketberge verlangen nach neuen Lösungen auf der letzten Meile, betonen die Studienautoren von Oliver Wyman.

Die bisher in Deutschland und Österreich vollkommen selbstverständliche Lieferung an die Haustür könnte dabei zum "Luxusgut" werden. "Die Preissteigerungen werden von den Zustellunternehmen jetzt noch zurückgehalten. Langfristig werden sie aber kommen", prognostiziert Lierow.

Wesentlicher Kostentreiber werden die Personalkosten für die Zusteller sein. "Das Problem ist, dass für die großen Paketmengen wesentlich mehr Fahrer benötigt werden. Der Arbeitsmarkt ist hier aber bereits jetzt vielerorts leergefegt", sagt der Experte. Also müssten die Löhne steigen. "In Gebieten mit geringer Arbeitslosigkeit – etwa im Raum München – sehen wir heute schon Stundenlöhne von Fahrern, die bis zu 35 Prozent über dem Mittel liegen", sagt Lierow. "In den kommenden Jahren ist zu erwarten, dass die Logistiker noch einmal 30 bis 40 Prozent drauflegen müssen."

Höhere Löhne, höhere Preise

In ihrer Analyse gehen Lierow und Kollegen davon aus, dass der Bedarf an Lieferfahrern 2028 in Deutschland bei etwa 200.000 liegen wird. Zum Vergleich: 2018 waren hier etwa 90.000 Zusteller unterwegs. Um den Job entsprechend attraktiv zu gestalten, wäre eine Verdoppelung der Stundenlöhne von etwa 15 auf 30 Euro nötig, rechnen die Logistikexperten vor.

Das würde wiederum die Kosten pro Paket von heute 2,50 Euro auf 4,50 Euro ansteigen lassen. "Nicht alle werden bereit sein, einen derart hohen Preis für die Zustellung an der Haustür zu bezahlen", sagt Lierow voraus.

Doch ließe sich das Problem nicht mit neuen Technologien lösen? Immerhin wird viel über künftige Einsätze von Drohnen, Robotern und autonomen Fahrzeugen auf der letzten Meile spekuliert. In Spezialfällen könnten manche dieser Technologien auch durchaus zur Anwendung kommen – etwa eilige Medikamentenlieferungen durch Drohnen. Die große Masse an Paketen werden diese Spielarten zumindest in naher Zukunft aber nicht bewegen.

"An vollständig autonome Zustellfahrzeuge bis 2028 glaube ich nicht", sagt Lierow. "Was bis dahin aber möglich wäre, ist etwa sogenanntes Platooning auf Langstrecken." Dabei sitzt nur noch im ersten Lkw eines Konvois ein menschlicher Fahrer, weitere folgen autonom.

Doch selbst diese Technologie bringt im Lieferverkehr entscheidende Nachteile mit sich. Lierow: "Um etwa die Sortierkapazitäten eines Verteilerzentrums zu nutzen, ist es vorteilhaft, die Paketlieferungen nach und nach einlangen zu lassen und nicht auf einmal in einem großen Konvoi."

Packstationen

Andere Mittel der Digitalisierung werden durchaus intensiver zum Zug kommen: etwa Routenplanungssysteme, die die Fahrzeuge vorausschauend und automatisch durch den Verkehr lotsen. "Diese Technologien werden in den nächsten Jahren noch stärker eingesetzt werden, um effizienter zu planen und Kosten zu senken", erklärt Lierow. "Der Einsatz von Machine-Learning-Algorithmen macht die vorhandenen Daten dabei wesentlich besser nutzbar."

Die größte absehbare Veränderung wird aber darin liegen, dass zumindest ein Teil der letzten Meile an den Paketempfänger selbst delegiert wird: Man wird sein Paket bei Filialen, Packstationen oder Paketautomaten abholen müssen. "Die kostenintensive Filiallösung wird für die Logistiker eher die Ausnahme bleiben", so die Einschätzung Lierows. "Wesentlich sinnvoller sind Packstationen, in denen die Pakete auf kleiner Fläche verwahrt und vom Kunden jederzeit entnommen werden können."

Eine Station mit beispielsweise 200 Fächern könnte, mehrmals nachgefüllt, den Kunden pro Tag gut 500 Pakete übergeben. Dementsprechend viele Fahrwege würden eingespart. "In Polen werden heute bereits viele Pakete auf diese Art zugestellt. In Großbritannien kooperieren Hermes und die polnische Inpost, in Deutschland DHL und Amazon beim Ausbau der Packstationen", gibt Lierow Beispiele für die Entwicklung.

Laut der Analyse würden sich die Kosten dieser "Multidrop-Zustellung" im Jahr 2028 auf 2,80 bis 3,30 Euro pro Paket belaufen – ein Drittel günstiger als die erwarteten Kosten für die Hauszustellung.

Städte in der Pflicht

Vermisst wird in dieser Entwicklung oftmals ein entschiedenes und innovatives Auftreten der Städte. "City-Logistik-Konzepte gibt es in der Theorie schon seit mehreren Jahrzehnten, allerdings konnten sie in der Praxis selten richtig abheben.

Dabei würden Regularien, die etwa keine Fahrten halbvoller Lkws in die Innenstädte zulassen, der Verkehrsplanung sehr helfen", sagt Lierow. "Mit dem Trend Richtung Packstationen geht es nun aber auch ohne Zutun der Städte in die richtige Richtung."

Wenn Hauszustellung nun zum Luxus wird, könnte dann eigentlich der stationäre Handel wieder an Bedeutung gewinnen? Immerhin fällt ein großer Vorteil der Internetbestellung weg, wenn man ohnehin zur Packstation muss.

Lierow ist in dieser Sache vorsichtig: "Abhängig von den Standorten von Geschäften und Paketstationen kann das ein kleines Stück weit der Fall sein. Der Onlinehandel kann aber auch bei Preis, Auswahl und Verfügbarkeit auf Vorteile pochen. Eine generelle Trendumkehr sehe ich hier also nicht."(Alois Pumhösel, 22.5.2019)