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General Nicacio Martínez bei einer Pressekonferenz in Bogotá, 20. Mai 2019.

Foto: REUTERS/Luisa Gonzalez

Zu Jahresanfang wurde die Führungsebene der kolumbianischen Streitkräfte zu einer Konferenz auf dem Luftwaffenstützpunkt Tolemaida, 120 Kilometer südlich der Hauptstadt Bogotá, einberufen. Der erst Ende 2018 ernannte Armeechef General Nicacio Martínez präsentierte seinen 50 wichtigsten Generälen und Offizieren einen neuen Einsatzbefehl.

Da Präsident Iván Duque mit den Erfolgen im Kampf gegen linke Guerillas, rechte Paramilitärs und kriminelle Banden unzufrieden ist, müssen alle Armeeeinheiten ab sofort Statistiken führen. Per Smartphone-App wird dokumentiert, wie lange der letzte Gefechtseinsatz zurückliegt. Für besonders erfolgreiche Einheiten gibt es Belohnungen wie zusätzliche Urlaubstage.

"Tage ohne Gefecht": So werden Einsätze dokumentiert.

In ein Formular, das den Offizieren vorgelegt wurde, war einzutragen, wie viele Aufständische und Kriminelle ihre Soldaten im vergangenen Jahr getötet oder verletzt und wie viele sich ergeben hatten. Als Ziel für das Jahr 2019 gab General Martínez dann vor, dass diese Zahlen heuer verdoppelt werden sollen, berichtet die "New York Times" unter Berufung auf drei hochrangige Offiziere, die an dem Treffen teilgenommen haben.

Außerdem soll die Truppe ihre Standards zum Schutz unbeteiligter Zivilisten senken: Bisher war es erforderlich, dass der Befehlshabende zu 85 Prozent ausschließen kann, dass beim Waffeneinsatz Unbeteiligte zu Schaden kommen, der neuen Doktrin zufolge reichen nun 60 bis 70 Prozent.

Die neuen Befehle erinnern an die Skandale der "Fehldiagnosen" ("falsos postivos") in den Jahren 2002 bis 2008, als Soldaten über 5.000 Menschen außerhalb von Kampfhandlungen ermordet haben, um die Leichen als getötete Guerillakämpfer zu präsentieren und so die Statistik ihrer Einheit aufzubessern. Laut offiziellen Zahlen wurden seither 1.176 Militärangehörige deswegen verurteilt.

Paramilitärs mit Superkräften

Die ersten Berichte nach den neuen Standards sind bereits abgegeben: So meldete eine Kompanie am 23. Februar, sich ein Gefecht mit drei Angehörigen der paramilitärischen Gruppe "Clan del Golfo" geliefert zu haben. Dabei seien eine Pistole und ein Revolver sichergestellt, ein Paramilitär getötet und zwei verletzt worden. Der Offizier, der der "New York Times" das Dokument vorlegte, äußerte allerdings Zweifel daran, dass drei Leichtbewaffnete längere Zeit gegen 41 Soldaten Widerstand hätten leisten können.

Am 22. April meldete das Militär, dass im Bundesstaat Norte de Santander Dimar Torres, ein demobilisierter Kämpfer der ehemaligen Farc-Guerilla, durch eine verirrte Kugel getötet worden sei, als er versucht habe, einem Soldaten dessen Gewehr zu entwinden. Laut Gerichtsmedizin deuten Schmauchspuren im Gesicht der Leiche darauf hin, dass Torres aus nächster Nähe mit einem Kopfschuss getötet worden ist.

Von Dorfbewohnern mit Mobiltelefonen aufgenommene Videos zeigen, wie Soldaten versuchten, die Leiche zu verscharren. Auf der Brust des offenbar gefolterten Opfers liegt dessen abgeschnittener Penis, im Hintergrund ist zu hören, wie jemand auf die "verdammten Paramilitärs" schimpft.

Minister gegen General

Verteidigungsminister Guillermo Botero erklärte im Fernsehen, seine Männer hätten sich nicht zuschulden kommen lassen, während General Diego Villegas, der den Einsatz angeführt hatte, in das Dorf Carrizal fuhr, um die Bevölkerung um Verzeihung zu bitten. "Angehörige der Streitkräfte haben ihn getötet, und es tut mir in der Seele weh. Im Namen der 4.000 Mann, die ich die Ehre habe zu befehligen, bitte ich um Vergebung."

Für dieses Eingeständnis sah sich Villegas heftiger Kritik ausgesetzt: "Wenn es so wehtut, einen Guerillakämpfer zu töten, dann verzieh dich doch zur Guerilla, damit dich die Armee dort aufspüren kann, du feiger, heuchlerischer, hosenloser General!", wird er in einer anonymen Audiobotschaft beschimpft, die kolumbianischen Medien zufolge aus höchsten Armeekreisen stammt. (Bert Eder, 21.5.2019)