"Das Gefühl trügt Sie nicht", schreibt die "Neue Zürcher Zeitung" an ihre Leser, "die Pollenbelastung in der Schweiz hat stark zugenommen." Die Menge der Pollen steige, zudem fange die Saison immer früher an. Schlechte Nachrichten für Allergiker, die – je nach Allergen – von Jänner bis September Schnupfen, tränende Augen und Atembeschwerden ertragen müssen.

Doch was ist dran an den Schweizer Zahlen? Ist die Situation in Österreich ähnlich dramatisch? Der STANDARD hat die Daten des Pollenwarndiensts der Medizinischen Universität Wien zu Birken- und Gräserpollen ausgewertet. Alles in allem: Wir können Entwarnung geben.

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Zunächst zur Birke: Sie blüht von Mitte März bis Mitte Mai und zählt zu den Hauptallergenen. In den letzten 20 Jahren haben die österreichweiten Pollenmessstationen eine konstant bleibende Menge registriert. Obwohl viele Menschen darüber klagen, dass die Belastung stärker wird, lässt sich das statistisch nicht nachweisen.

"Der einzige Trend, den es gibt, ist jener, dass die Saison früher startet. Durch milde Winter und ein warmes Frühjahr sind die Birken früher zur Blüte bereit. Die Saison ist dafür aber auch wieder früher vorbei", sagt Maximilian Bastl vom Pollenwarndienst der Med-Uni Wien. Das sei darauf zurückzuführen, dass die Temperaturen früher im Jahr rasch nach oben klettern und die Birkenblüte somit auch schneller vorangetrieben und Pollen freigesetzt werden.

Pollen aus dem Osten

Heuer sind die Temperaturen allerdings eher niedrig, "dadurch hat die Blüte später begonnen und verläuft auch eher unterdurchschnittlich", so der Experte. Lediglich im Osten habe es eine überraschende Spitzenbelastung gegeben, verursacht von Nordwindströmungen aus dem skandinavischen Raum. "Dort kommt die Birke weitaus häufiger vor als bei uns, wodurch wesentlich höhere Pollenkonzentrationen freigesetzt werden", sagt Bastl.

Bei ungünstigen Windkonstellationen kommen zudem sehr viele Pollen von höhergelegenen Regionen wie Tschechien und dem Böhmischen Massiv nach Österreich. "Das war in diesem Jahr zeitweise der Fall und hat Teile Niederösterreichs, Wiens und des Burgenlandes betroffen", ergänzt der Experte.

Ein ähnliches Phänomen gibt es übrigens auch später im Jahr noch einmal, und zwar im August und September, wenn Ragweed blüht. Denn dann werden durch Ostwindströmungen Ragweedpollen aus den östlichen Nachbarländern, etwa aus Ungarn, nach Österreich hereingeweht. "Dadurch kann die Konzentration so hoch ansteigen, wie sie durch die lokale Produktion allein nie zustande kommen würde", sagt Bastl.

Gräser blühen

Davor haben im Pollenjahr allerdings noch andere Allergene ihren großen Auftritt: die Gräser. Sie blühen von Mitte April bis Ende August. Für die Intensität der heurigen Saison könne man noch keine konkreten Prognosen abgeben: "Sie hängt vor allem mit den Niederschlagsmengen kurz vor Blühbeginn ab. Momentan gehen wir von einer durchschnittlichen Gräserpollensaison aus", erklärt Bastl. Den Daten zufolge sind die Höchstbelastungen bei den Gräserpollen in den vergangenen Jahren sogar rückläufig gewesen. Das bestätigen auch die Experten vom Pollenwarndienst.

Die Entwicklungen rund um den Pollenflug sind vor allem menschengemacht. Bei den Gräsern spielt die Weidewirtschaft eine große Rolle. Sie ist in den vergangenen 20 Jahren von Heu- auf Silagewirtschaft umgeschwenkt. "Dadurch werden Gräser häufiger gemäht und kommen nur sehr kurz, in manchen Fällen sogar überhaupt nicht zur Blüte. So werden weniger Pollen freigesetzt", sagt Bastl. Allerdings gibt es auch schon wieder einen Gegentrend. Denn in der jüngsten Vergangenheit hat die Heuwirtschaft wieder einen Boom erlebt, dadurch steigt die Gräserpollenkonzentration vor allem im Westen Österreichs wieder an.

Selber schuld

Apropos menschengemacht: Die "NZZ" gibt in ihrem Artikel dem Klimawandel und der erhöhten CO2-Konzentration die Schuld. Hier gibt es zwar einen Zusammenhang, so Bastl, denn "Pflanzen nehmen CO2 auf und produzieren Sauerstoff. Je mehr CO2 und damit Ressourcen in der Luft sind, desto mehr nehmen die Pflanzen auf und desto mehr Biomasse – inklusive Pollen – wird produziert." Um Rückschlüsse auf das Klima ziehen zu können, wäre allerdings ein Beobachtungszeitraum von 50 Jahren notwendig, Pollenmessungen gibt es aber erst seit den 1970er-Jahren.

Ganz unmittelbar beeinflusst der Mensch die Pollenbelastung auch mit der Pflanzung von Bäumen, die Allergene produzieren. Bastl kennt ein Negativbeispiel aus der Schweiz: In der Stadt Buchs wurden verstärkt Purpurerlen gepflanzt. "Die sind sehr früh im Jahr blühbereit, bereits in der Weihnachtszeit. Die Pflanzungen haben dafür gesorgt, dass immer mehr Kinder im Laufe ihres Lebens eine Allergie auf Erlenpollen entwickelt haben."

In Österreich leiden etwa 20 Prozent der Bevölkerung an einer Pollenallergie, bei Kindern und Jugendlichen sind es rund 25 Prozent. Dabei geht es den Betroffenen besonders schlecht, wenn der Blühbeginn "explosionsartig" verläuft, wie Katharina Bastl, ebenfalls vom Pollenwarndienst der Med-Uni Wien, bestätigt.

Es liegt also gar nicht an der Pollenbelastung insgesamt, wie die NZZ vermutet. Das zeigt auch ein Beispiel aus der Vergangenheit: "Die Birkenpollenallergiker litten im Jahr 2013 stärker, obwohl die Gesamtbelastung im Jahr 2012 höher war", sagt Katharina Bastl. Es liegt also an der Konzentration der Allergene, die auf frühe und hohe Temperaturen im Jahr zurückzuführen sind, womit wiederum der Klimawandel ein Treiber wäre. (Günther Brandstetter, Bernadette Redl, 21.5.2019)