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Lokführer Erdoğan hat die Presse im Griff.

Foto: REUTERS/Murad Sezer

İbrahim Karagül, Kolumnist der regierungstreuen türkischen Zeitung "Yeni Şafak", bezeichnete den Bürgermeisterkandidaten der CHP, Ekrem İmamoğlu, jüngst als Marionette. Er sei nicht einmal Mitglied der Oppositionspartei CHP, sondern eine Art Trojanisches Pferd, mit dem sich das Ausland Istanbul unter den Nagel reißen wolle. Eine "bestimmte Gruppe" hätte Betrug am Wähler begangen – dann würfelt der Autor so ziemlich alle Akteure zusammen, die irgendwann einmal Probleme mit der AKP-Regierung hatten: Griechenland, Deutschland, die EU, die USA sowieso, die Gülen-Bewegung, die PKK – und natürlich Israel. Eine multinationale Allianz habe sich geformt, und im tausendjährigen Kampf um Anatolien ein neues Kapitel begonnen. Ein Kreuzzug gegen die Türkei sei im Gange.

So absurd all das klingen mag – leider entfaltet diese Art der Propaganda ihre Wirkung. Verschwörungstheorien florieren seit jeher in der Türkei. Ständig droht von irgendwo her eine verdeckte Invasion ausländischer Mächte: Mal ist es die CIA, die Erdbeben in der Region verursacht, mal Angela Merkel, die den Bau des Istanbuler Flughafens sabotieren will, oder George Soros, der die Gezi-Proteste initiiert haben soll. Ausländische Journalisten sind per se verdächtig, eigentlich Geheimagenten zu sein. Das liegt zum Teil daran, dass der Kampf gegen ausländische Nationen Teil des Gründungsmythos der Türkei ist und solche abstrusen Theorien schnell fruchtbaren Boden finden. Zum anderen wird dies auch immer wieder seitens der Politik genährt. Wann immer die Regierung in Bedrängnis gerät, bedient sie sich solcher Muster. So auch jetzt, wo der Wahlkampf für die Bürgermeisterwahl in Istanbul wieder begonnen hat.

Gleichschaltung

Die stark eingeschränkte Pressefreiheit tut ihr Übriges. Die türkische Presse ist nahezu gleichgeschaltet. Die wenigen verbliebenen kritischen Medien werden kaum gelesen. Die AKP will sich im Wahlkampf vor allem an die kurdischen Wähler richten, die bei der Wahl am 31. März mehrheitlich für den Kandidaten der CHP gestimmt hatten. Ekrem İmamoğlu hatte die Wahl mit einer hauchdünnen Mehrheit von 25.000 Stimmen gewonnen. Die AKP behauptete, die Opposition habe "Stimmen gestohlen". Nachdem einige Stimmen neu ausgezählt worden sind, war sein Vorsprung zwar auf 13.000 Stimmen geschmolzen, hatte aber nichts an seinem Sieg geändert. Trotzdem hatte die Oberste Wahlkommission Anfang vergangener Woche verkündet, die Wahlen am 23. Juni zu wiederholen.

Bürgermeisterkandidat İmamoğlu hat es nicht leicht, dagegen anzukämpfen. Die Strategie der Opposition ist es deswegen, den Wahlkampf vor allem auf die bisher von der AKP regierten Bezirke zu konzentrieren. Dort sucht der stets freundlich und auf entwaffnende Weise harmlos wirkende 48-Jährige das Gespräch mit den Bürgern, denen er dann erklärt, warum er kein Terrorist und warum er auch nicht mit vermeintlichen Terroristen zusammenarbeitet.

Vielleicht ist İmamoğlus Wahlkampfslogan auch deshalb so beliebt, weil er die beste Antwort auf all die Absurditäten dieses Wahlkampfes ist. "Her Sey Çok Güzel Olacak" – Alles wird gut werden. Das möchte man doch eigentlich allen Verschwörungstheoretikern dieser Welt zurufen. (Philipp Mattheis aus Istanbul, 16.5.2019)