Kiew – Nach einem Video, in dem Wolodymyr Selenski am Freitag das ukrainische Parlament ultimativ aufgefordert hatte, ihn am 19. Mai zum Präsidenten anzugeloben, hat er am Dienstag die Gangart verschärft und Parlamentssprecher Andrij Parubij heftig attackiert. Selenski scheint gleichzeitig eine vorzeitige Parlamentsauflösung anzupeilen, die laut Experten womöglich jedoch nicht verfassungskonform wäre.

Parlamentssprecher Parubij hatte für Dienstag eine Vorentscheidung über den Termin der Amtseinführung des gewählten Präsidenten Wolodymyr Selenski angekündigt, doch das zuständige Gremium der Werchowna Rada zauderte und will nun sich nun erst am Mittwochnachmittag mit der Frage beschäftigen.

Heftige Reaktion

Die Reaktion Selenskis fiel am Dienstagabend heftig aus: "'Ich lüge' ist das Lebensmotto des ukrainischen Parlaments", schrieb er auf Facebook mit Verweis auf Parubijs nicht eingehaltenes Versprechen. Er forderte gleichzeitig seine Anhänger auf, sich die Namen der Abgeordneten dieser Legislaturperiode gut zu merken und bei den nächsten Parlamentswahlen gemeinsam die richtigen Schlüsse zu ziehen.

Nachdem eine Parlamentsmehrheit nach APA-Informationen zunächst eher für einen Angelobungstermin nach dem 27. Mai eingetreten war, scheint der Druck Selenskis für ein Umdenken gesorgt zu haben. Laut ukrainischen Medienberichten galt am Dienstag eine Angelobung Selenskis bis spätestens Anfang nächster Woche als wahrscheinlich. Auch der scheidende Amtsinhaber Petro Poroschenko hatte bereits am Montag für eine ehebaldigste Machtübergabe plädiert.

Laut der konventionellen Interpretation der ukrainischen Verfassung kann der Präsident eine vorzeitige Auflösung des Parlaments lediglich bis zu sechs Monate vor dem Ende der Legislaturperiode einleiten. Die aktuelle Periode endet regulär am 27. Oktober 2019, der 27. Mai wäre somit der letzte Tag einer möglichen Parlamentsauflösung durch den Präsidenten.

Ob der gewählte ukrainische Präsident selbst im Fall einer Angelobung in den allernächsten Tagen und somit vor dem 28. Mai das Parlament vorzeitig auflösen kann, ist unter Verfassungsexperten strittig. Rechtsprofessor Michajlo Sawtschyn von der Universität Uschhorod erachtet Aussagen Selenskis über eine diesbezügliche Option als "einigermaßen problematisch".

"Um das Parlament vorzeitig aufzulösen benötigt der Präsident Grundlagen, die ich hier nicht sehe. Sollte das Parlament dennoch aufgelöst werden, wäre das aus der Sicht der Verfassungskonformität zweifelhaft", erklärte Sawtschyn. Er verwies auf Artikel 90 der ukrainischen Verfassung, die die Möglichkeit einer Parlamentsauflösung durch den Präsident für die Fälle vorsieht, dass innerhalb eines Monats keine Regierungskoalition gebildet wird, keine Mehrheit für die Wahl einer neuen Regierung innerhalb von 60 Tagen erzielt wird oder Parlamentssitzungen im Laufe von 30 Tagen ausbleiben.

Im ukrainischen Parlament selbst machen indes wilde Gerüchte die Runde: "Wir haben den Eindruck, dass Selenskis Team aggressiv eine illegale Auflösung des Parlaments gar bis zum 16. Juni anstrebt", erklärte am Dienstagabend der Abgeordnete Viktor Wowk von Oleh Ljaschkos Radikaler Partei. In diesem Zusammenhang würde nun bald die derzeit noch existierende Regierungskoalition offiziell aufgelöst und begänne die vorgesehene Monatsfrist zur Bildung einer neuen Koalition zu laufen, spekulierte Wowk.