Die Ramming Stones in einer das Image pflegenden Garderobe von zirka 1927.

Foto: Jes Larsen / Universal Music

Höchste Sicherheitsstufe! Handys bitte abgeben und mit Blut eine Vertraulichkeitserklärung unterschreiben, die Geldforderungen in Aussicht stellt, wenn man in Gegenwart anderer eines der neuen Lieder von Rammstein flötet, bevor die Embargofrist verstrichen ist. Das waren ungefähr die Bedingungen der "Listening Session", zu der die Plattenfirma der deutschen Band Rrrammstein eingeladen hatte. Nach zehn Jahren Kunstpause erscheint kommenden Freitag, Pardon, Frreitag ihr neues Studioalbum. Es umfasst elf neue Songs und kommt ohne einen Werktitel aus.

Das mit der Schadenersatzdrohung wirkte ein bisschen kleinlich. Zumal die Gäste dieser exklusiven Session ein Infoblatt erhielten, das Fakten bezüglich der 1994 gegründeten Gruppe auflistet. Das könnte dieterbohliger nicht gestaltet sein, so wie man sich da superlativisch selbst krault. Wobei Bohlen allein mit Modern Talking sechsmal mehr Tonträger verkauft haben soll als Rammstein, aber das nur nebenbei.

Schütteln und rütteln

Doch ein Superlativ stand nicht auf dem Zettel: Rammstein gelten als die am schrecklichsten missverstandene deutsche Band. Die mit den akribisch inszenierten Skandalen, die gerne an Tabus rüttelt, Reime schüttelt und mit dem Video zu ihrem Lied Deutschland jüngst für eine marketingkonforme Aufregung gesorgt hat, weil es die Rammstones im Gewand von KZ-Insassen zeigt. Für Aufmerksamkeit war also gesorgt, und auch als Liedtitel hat die Gruppe sich wieder einen Korb voll Reizwörter ausgedacht: Deutschland, Ausländer oder Sex. Vermeintlich schwere Zeichen, abgeliefert mit leichtem Hau.

Vorhersehbares Donnerwetter

Rammstein gelten als strenger Orden. Ihre Musik ist so hart, wie sie es bei Bands wie Ministry und Laibach gelernt haben – da ging die Schublade der Neuen Deutschen Härte wie von selbst auf.

In diesem Sinne treten sie mit Deutschland als Opener gleich einmal die Tür ein. Das Lied ist ein Beuschelreißer nach der Bauart von circa 1992. Dann folgt Radio, das den Ruf der Gruppe Kraftwerk bekleckert, weil manche Rammstein unterstellen, in Radio auf deren Pfaden zu wandeln. Zur Erinnerung: Kraftwerk waren Wegbereiter der elektronischen Musik und verantworteten ästhetische Pionierarbeit, was den Vergleich mit Rammstein als Affront erscheinen lässt. Da ist alles sehr vorhersehbar: Zu bravem Donnerwetter trägt Till Lindemann mit Märchenonkelbariton seine Texte vor. Singen ist so ein großes Wort.

Radio von Rammstein bemüht sich in Schwarz-Weiß um die ästhetische Nähe zu Kraftwerk.
Rammstein Official

In seiner Bedrohlichkeit klingt Muskelmann Lindemann wie Frank Zander als der Ururenkel von Frankenstein. Es muss bezweifelt werden, dass diese Komik gewollt entsteht. Diese unterstreichen Texte, die in ihrem Reimzwang wie von reimmaschine.de gedichtet wirken: "Ein Verlangen unterm Bauch, komm doch her, du willst es auch", dichterfürstet es in Sex, einer Betrachtung zum Thema "der Zug fährt in den Tunnel".

Franz Morak grüßt

Im Lied Puppe feiert dann gar das künstlerische Erbe des Franz Morak Wiederauferstehung. Da wird einer Puppe von einem mit sich selbst nicht ganz im Reinen befindlichen Protagonisten der Kopf abgerissen: "Es geht mir nicht gut", wagnert Lindemann, und obwohl man lachen muss, wünscht man ihm natörlich gute Bösserung.

"Zeig mir deins, ich zeig' dir meins"

Die Überraschung ist der Song Ausländer. Der ist mitnichten AfD-Wahlkampf-tauglich, was nicht heißt, dass die das kapieren. Nein, Ausländer ist ein nachgerade pädagogisch wertvoller Beuschelreißer zum Thema Sprachferien und Austauschschüler – wer hätte das gedacht?

Nach der Mitte des Albums macht der sechsköpfige Gesangsverein allerdings etwas schlapp, die Härte weicht einem Block zum Thema Liebe und Heirat. Was ich liebe ("muss sterben") und Diamant zeigen, dass unter dem Harnisch der Rammis doch ein Herzelein pocht. Dann wird's profan: "Zeig mir deins, ich zeig' dir meins", grundelt der Till, und man erwartet eine Fortsetzung von Sex, aber nicht. Tattoo heißt das Lied, und es ist gut möglich, dass diese Ode an die Fleischstecherei bald aus Arschgeweihmanufakturen von Villach bis Tschenstochau dröhnt.

Big in the US of A

Doch die Listening Session war nicht nur erheiternd. Sie offenbarte einmal mehr, dass Rammstein ohne ihre Videos und ohne ihren live aufgeführten Kirtag bloß Meterware im Fach des gebackenen Hardrocks spielen. Orgelsoli – im Ernst?

Ungeachtet aller Einwände gegen diese aufgeblähten Schlichtheiten wird das Album traditionell ein Erfolg werden. Rammstein sind in den USA sehr populär; dort genießt die Gruppe zudem den Vorteil, dass ihre Texte nicht unbedingt verstanden werden, da frohlockt der Fan bereits ob des teutonischen Idioms. Und auch hierzulande stehen alle Zeichen auf Erfolg. Schließlich sind beide Konzerte im August im Ernst-Happel-Stadion schon ausverkauft. (Karl Fluch, 14.5.2019)