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"Kein Mensch braucht EU-Vorgaben, etwa für die Zubereitung von Schnitzel und Pommes", so Kanzler Sebastian Kurz am Sonntag.

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Einen Moment hat es vergangene Woche so ausgesehen, als ob Sebastian Kurz die Weiterentwicklung der Europäischen Union ein Anliegen wäre. Sein Vorstoß für einen neuen EU-Vertrag war zwar plakativ und unausgegoren, aber er barg Ansätze für Problemlösungen – und wurde recht positiv aufgenommen.

Doch das leise Lob von EU-Experten ist dem Kanzler weniger wichtig als die Stimmung auf Facebook, an den Stammtischen oder bei Wahlkampfveranstaltungen. Dort ist die EU bekanntlich kein Sympathieträger, und ein Parteichef im Wahlkampf will dieses Stimmenreservoir nur ungern seinem Koalitionspartner überlassen.

Daher schoss Kurz am Wochenende eine Stellungnahme heraus, die in wenigen Zeilen all jene Antieuropavorurteile vereinigte, die sonst in FPÖ-Reden und Krone-Schlagzeilen beschworen werden: "Regulierungswahnsinn", "Bevormundung", "Bürokratiekorsett" und dazu eine Polemik gegen die "Schnitzel- und Pommesverordnung", die seit 2018 dafür sorgt, dass beim Braten und Frittieren weniger krebserregende Stoffe entstehen. Insgesamt will Kurz 1000 EU-Verordnungen streichen und Kompetenzen an die Mitgliedsstaaten zurückgeben.

EU ist nicht über-, sondern unterreguliert

Was Kurz hier vorbringt, ist eine populäre, aber falsche Beschreibung der Rolle der EU. Die Union ist in weiten Teilen nicht über-, sondern unterreguliert. Wenn in Europa etwas nicht funktioniert, dann liegt das meist daran, dass den Mitgliedsstaaten zu viele Spielräume eingeräumt wurden, die diese auf unterschiedliche Weise nützen. Das blockiert den Binnenmarkt, bremst den Kampf gegen den Klimawandel und verhindert ein schlagkräftiges Auftreten Europas in der Welt.

Gerade in der Klimapolitik, die Kurz als zentrale EU-Aufgabe bezeichnet, würde es ein viel engeres Korsett brauchen, um die Florianipolitik vieler Staaten zu unterbinden – auch jene von Österreich, das seine Mineralölsteuer bewusst niedrig hält, damit deutsche und italienische Autofahrer hier und nicht zu Hause tanken.

Die "Pommesverordnung" ist Teil jener Mindestgesundheitsstandards, die das für einen Binnenmarkt notwendige Vertrauen schaffen. Die Förderung der Gesundheit ist gerade Österreichern wichtig; hier beweist die EU die oft geforderte Bürgernähe.

Überregulierungen im Inland

Sicherlich gibt es auch einige überflüssige EU-Regeln, aber viel weniger als oft behauptet. Für Überregulierungen im Inland ist zumeist die eigene Gesetzgebung oder ein zu strenger Vollzug verantwortlich.

Auch Kurz' Parteifreund, der EVP-Spitzenkandidat Manfred Weber, bläst in dieses populistische Horn, wenn er etwa das Glühbirnenverbot kritisiert – eine der erfolgreichsten EU-Klimamaßnahmen, mit der Unmengen an Energie eingespart wurden und die LED-Revolution beflügelt wurde.

Man muss als pragmatischer Regierungspolitiker nicht immer "Mehr Europa" rufen, wie es etwa Grüne und Neos tun. Aber wer gegen Brüssel Wahlkampf führt und nationale Alleingänge fordert, der will die EU schwächen und nicht stärken. Das weiß Kurz' vorgeschobener Spitzenkandidat Othmar Karas am besten.

Anders als bei den meisten Rechtspopulisten steht bei Kurz keine tiefe Überzeugung dahinter; er ist ein reiner Taktiker der Macht. Für dieses Ziel ist er im Wahlkampffinale bereit, seine Partei ins Eck der EU-Gegner zu stellen und die Selbstdefinition der ÖVP als "Europapartei" endgültig zur Lachnummer verkommen zu lassen. (Eric Frey, 12.5.2019)